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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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schmale Händchen. Er trug eine Art Barett, das er sich tief ins Gesicht gezogen hat.«
    »Du hast ihn nie zuvor gesehen?«
    »Niemand von uns hat das, Bernina.«
    »Ist er alt oder jung?«
    »Wenn er sich bewegt, wirkt er jung, sein Bart aber ist von Grau durchsetzt.« Lottinger hob die Schultern.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, wer das sein könnte.«
    »Wie gesagt, ich wollte es nicht einfach auf sich beruhen lassen. Und Nils meinte ja auch, dass wir wieder ganz besonders die Augen offen halten sollen.«
    »Der Fremde ist also noch in dem Schuppen?«
    »Sicher, das ist er. Aber ich denke mal, man wird ihn bald davonjagen. Hat ja keinen Mord begangen, der Winzling. Den weht wahrscheinlich einfach der Wind vor sich her. Mir kam es nur komisch vor, dass er dich kennt.«
    »Das kommt mir allerdings auch komisch vor.« Bernina lachte unschlüssig auf. »Vielleicht sollte ich ihn mir mal ansehen.«
    »Das kannst nur du entscheiden.«
    Das hatte Bernina längst getan. Sie lief los, um ein Pferd aus dem Stall zu holen. »Ich muss Nils rasch Bescheid geben.«
    »Natürlich, Bernina. Und sag ihm auch, dass ich dich ins Dorf begleite. Dann kann er in Ruhe seine Arbeit weitermachen. Ich wollte ohnehin nach Teichdorf zurück.«
    »Danke, dass du dich meinetwegen hierher aufgemacht hast«, rief sie noch, ehe sie im Stall verschwand.
    Auf einem Pferderücken dauerte es nicht lange, den Weg ins Dorf zu bewältigen. Gemeinsam mit Lottinger ritt Bernina erst zu Nils, dann ohne weitere Verzögerung zu dem Schuppen, einem alten schiefen Viereck mit morschen Holzwänden und einem löchrigen, durch Zweigwerk ausgebesserten Flachdach. Eine schmale Tür gab es vorn, eine winzige Fensteröffnung an der Rückseite.
    Ein Bediensteter des Dorfschulzen hockte vor der Tür, das Hinterteil im Staub, den Rücken angelehnt, das Kinn auf den Knien. Schon auf den ersten Blick war klar, dass er eingeschlafen war.
    »He!«, polterte Lottinger lachend. »Schluss mit dem Nickerchen, du Faulpelz.«
    Der junge Mann schoss nach oben und sah sich verdattert um. Es war ihm reichlich peinlich, wie man ihn vorgefunden hatte. Schnell schob er nun den Sperrriegel zur Seite. Die Tür sprang auf, und Hermann Lottinger betrat ohne Zögern den Schuppen – nur um schlagartig im Rahmen zu verharren.
    »Hoppla!«, entfuhr es ihm voller Verblüffung. »Das glaubt man ja wohl nicht.«
    Bernina konnte nicht an seinem breiten Rücken vorbeisehen. »Was ist denn los?«
     
    *
     
    Es war ein eigenartiges Gefühl, sich auf eine Reise zu begeben und nichts über ihr Ziel zu wissen. Vor allem für jemanden wie ihn, der es gewohnt war, die Fäden in der Hand zu halten. Das erfüllte ihn mit einer Unruhe, die er nicht mochte, die er nicht an sich kannte.
    Und noch etwas anderes war ihm fremd: Nachdem er jahrelang an der Spitze großer Armeen geritten war, führte Franz von Lorathot nun eine kleine Truppe an; beinahe wie früher, als er ein namenloser Unteroffizier gewesen war. Schlagkräftig war diese Einheit dennoch, seine besten Soldaten gehörten ihr an. Ein großes Aufgebot hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Zwar war ihm nicht bekannt, was ihn erwartete – ein gewaltiges Schlachtengetümmel würde es jedenfalls nicht sein. Etwas anderes stand ihm bevor, etwas, das sicherlich nicht weniger bedeutend sein würde als das Aufeinandertreffen mächtiger Armeeverbände.
    Zudem musste er – anders als sonst – nicht zur Eile antreiben. Eher war es so, dass man sich betont langsam voranbewegte, unauffällig. Ihm war es wichtig, dass er und sein Trupp nicht zu viel Staub aufwirbelten. Kein Zweifel: Nicht zu wissen, wohin es ging, und lediglich einer groben Richtung zu folgen, nicht der zu sein, der die Entscheidungen traf, sondern abwarten zu müssen, das ging ihm gegen den Strich. So spürte er förmlich, wie sich neue Falten in seine breite Stirn gruben, als er an jenem Morgen vor sein Zelt trat, das die Mitte des kleinen Soldatenlagers einnahm. Die Posten hielten Wache, der Rest schlief noch. Trägheit hatte sich breitgemacht. Jeder wusste, dass keine Gefechte bevorstanden. Die Soldaten schienen die gemächliche Reise fast zu genießen, wohl wissend, dass es in dem endlosen Krieg allzu rasch mit Ruhe vorbei sein konnte.
    In diesen Tagen, auf dem Ritt ins Ungewisse, wurde sich Franz von Lorathot mehr denn je darüber bewusst, dass er ein Getriebener war. Der Krieg mochte ihn, wie er den Krieg mochte, doch trieb er Lorathot auch vor sich her, hielt ihn ohne Unterlass in

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