Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
einschüchterten.
Sie hatten Glück gehabt, in Ippenheim, der einzigen größeren Ortschaft im Umkreis von Teichdorf, auf diese Kutsche zu stoßen, die in erster Linie für den Postdienst eingesetzt wurde. Die Sitzbänke des Gefährtes waren aus leichtem Kiefernholz gefertigt, die Achsbäume mit Grafit geschmiert, die Räder an Federn aufgehängt, ein besseres Fortbewegungsmittel konnte man sich kaum vorstellen. Bernina erhielt einen Platz darin, während Norby und Baldus auf den beiden Hof-Pferden nebenher ritten. Ihren eigenen Wagen hatten sie bei einer Schenke abstellen können. Außer Bernina befanden sich drei weitere Reisende in der Kutsche, zwei Kaufleute und ein Herr, der mit seinem nachtschwarzen Wams und der wuchtigen Goldkette den Eindruck eines Advocatus erweckte.
Der Petersthal-Hof lag ein ganzes Stück höher, und hier in der Ebene war die Luft noch klebriger, noch stärker von summenden Stechmücken durchsetzt. Die Wälder hatten sie hinter sich gelassen, über öde Heidestreifen hinweg setzte sich der Weg fort, hier und da ein namenloses Dörflein am Horizont. Stellenweise war der Fahrdamm unter wuchernden Pflanzen so gut wie verschwunden. Dann doch wieder ein Waldstück, Weißdornhecken und Astwerk kratzten am Dach und an den Türen der Kutsche.
Von Zeit zu Zeit sah Bernina nach draußen, auf den groß gewachsenen Reiter, mit dem sie ihr Leben teilte. Verblüffend schnell hatte er doch noch eingewilligt, sie Freiburg besuchen zu lassen. Seine einzige Bedingung war, sie persönlich zu eskortieren, bis sie den Schutz der Stadt erreicht hätte. Von da an würde nur noch Baldus an ihrer Seite bleiben. Nils’ Einverständnis zu dem Freiburg-Besuch war umso bemerkenswerter, da er selbst diese Stadt bewusst mied. Schon mehr als fünf Jahre lang, seit der Eroberung durch Bernhard von Sachsen-Weimar, war Freiburg von Truppen besetzt, die aus französischen und schwedischen Offizieren und Soldaten bestand. Norby lag nicht das Geringste daran, Landsleuten zu begegnen, mit seiner Vergangenheit als Offizier der Schwedenarmee hatte er völlig abgeschlossen. Umso mehr schätzte es Bernina, dass er sie begleitete und sogar den Hof unbeaufsichtigt ließ. Sie hatte ihm außerdem versprechen müssen, unter keinen Umständen die Rückreise allein anzutreten, sondern mit Baldus darauf zu warten, bis Nils sie nach dem Ende der Markttage wieder abholte.
Der Nachmittag zog vorüber, der Kutscher trieb die beiden Zugpferde mit der Peitsche an. Schon bald würden die Stadttore geschlossen werden – sie mussten unbedingt vorher ihr Ziel erreichen. Die Kraft der Sonne ließ nach, ihre Strahlen strichen nur noch sanft über die Landschaft. Wiederum ein paar Häuser, der Kirchturm von Betzenhausen stach in den Himmel, ein Anblick, der Bernina von ihren früheren Besuchen gut in Erinnerung geblieben war, und die Stadtmauern wurden sichtbar. Der Burgberg ragte dunkel auf. Noch ein Dorf, Wiehre, das sich mit seinen wenig beeindruckenden Gebäuden und morastigen Wiesen entlang des Flusses wand. Dann der geöffnete Schlund des Stadttores, Norby und Baldus ritten dicht neben der Kutsche, der Schwede mittlerweile mit einem Umhang, der Kopf und Schultern verhüllte.
Alles ging schnell, ohne besondere Vorkommnisse. Falls die französischen Wachmänner auf der Hut vor möglichen Spionen und Kundschaftern waren, so weckte offenkundig niemand der Neuankömmlinge ihr Misstrauen. Wie die anderen Fahrgäste der Kutsche erzählten, warteten die Besatzer der Stadt auf unterstützende Einheiten aus Frankreich. Die Truppenstärke sollte erhöht werden – mit Sorge blickten die Franzosen und Schweden nach Osten, von wo immer mehr Gerüchte über große, sich auf dem Vormarsch befindliche Truppen nach Freiburg drangen.
Rasch schob sich die Dämmerung über die Dächer, die mit Eisen verstärkten Kutschräder dröhnten auf dem Pflaster, und Bernina spähte ins Freie. Bächlein, gespeist von etlichen Brunnen, verliefen seitlich der Straßen. Eine Aneinanderreihung kleiner geduckter Häuschen, das erste helle Schimmern von Talglichtern und Öllampen in den Fenstern, Ställe und Misthaufen, beinahe dampfend von der Tageshitze, Rauch kräuselte sich aus Schornsteinen. Das düstere Gemäuer des Augustinerklosters erhob sich jäh und abweisend. Sie überquerten einen Gewerbekanal; es stank nach geschabten Häuten und Schlachtabfällen. Aus einer Schlossereiwerkstatt drang rhythmisches Hämmern. Gestalten huschten in den Gassen umher, durch die
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