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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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ich zu.« Ein kurzes Brummen von Nils. »Und trotzdem bin ich dagegen.«
    Bernina seufzte, sah vor sich hin, merkte gar nicht, dass ihre Gedanken abschweiften, auch nicht, dass Nils sie aufmerksam beobachtete. Langsam erhob sie sich. Plötzlich war es ihr egal, alles war ihr egal, der Markt, Mentiris Diebstahl, fremde Männer mit Waffen, plötzlich war sie wieder die Gefangene dieser Trauer, dieser Leere. Sie trat ans Fenster und schaute nach draußen. Sie glaubte, das Heu zu riechen, und da waren sie von Neuem, diese stets gleichen Bilder: die Bretterwand, die alles erfüllende Leere, die Umrisse des Kindes, das nie gelebt hatte, mit dem ein Teil von Bernina gestorben war. Ja, dieses winzige Wesen, das sich im Tode auf dem trockenen Heu zusammengerollt hatte.
    Als sich Nils’ Hand auf ihre Schulter legte, zuckte Bernina zusammen, als hätte sie vergessen, dass es ihn gab, dass es überhaupt irgendetwas gab außer der Scheune.
    »Das Wiedersehen mit Helene bedeutet dir viel, nicht wahr?«, meinte er betont sanft, nicht fragend.
    Sie rang sich zu einem Lächeln durch. »So wichtig ist es auch nicht. Wenn du nicht möchtest, dass … «
    Mit einem Kuss auf die Wange unterbrach er sie. »Es ist schon in Ordnung. Mach dich auf die Reise.« Er suchte ihren Blick. »Aber eine Bedingung habe ich dennoch.«
     
    *
     
    Sie hatten herumgeschnüffelt, immer und überall die Augen offen gehalten, sie hatten sich unsichtbar gemacht. Und sie waren dran geblieben, unermüdlich, wie Bluthunde, die eine Fährte aufgenommen hatten und unter keinen Umständen mehr davon abließen.
    Alles hatte danach ausgesehen, als seien sie dem Ziel nahe, verteufelt nahe, doch völlig unerwartet war die heißeste Spur seit Langem dabei, sich in Luft aufzulösen. Ausgerechnet dort unten im Tal, bei diesem harmlos wirkenden Hof. Die drei Männer legten eine Rast ein, zum ersten Mal schien es Redebedarf zwischen ihnen zu geben. Abgeschirmt vom dichten Wald starrten sie von der Anhöhe hinab auf die still daliegenden Gebäude.
    Waren sie im Irrtum? War der Hof ein Irrtum?
    Wenigstens hatten sie inzwischen ihre Satteltaschen aufgefüllt, Räucherfleisch, Dörrobst, Brot. Und steinharte Rüben, die sie in der Glut rösten wollten, obwohl sie oft genug zu vorsichtig waren, ein Feuer zu entfachen, gerade jetzt, wo das Ziel greifbar schien. Falls das überhaupt der Fall war …
    Die Männer waren zäh, erprobt im Kampf und in der Verfolgung, und sie waren erfolgreich in dem, was sie taten. Die Aufträge, die sie annahmen, wurden erfüllt, ohne Wenn und Aber. Ihr Ruf eilte ihnen voraus und dennoch gelang es ihnen, in einem zwielichtigen Dunkel zu bleiben.
    Mit leisen Stimmen, als hätten die Bäume Ohren, besprachen sie sich. Die Truppe, die hinter ihnen hergehetzt war, bereitete ihnen kaum Sorgen. Trotzdem waren sie überrascht von dem Anführer der Einheimischen. Hatten sie sich getäuscht? Oder war der auffallend große Reiter mit dem langen blonden Haar jener schwedische Offizier gewesen, über den sie einst viel gehört hatten – und den man in Armeekreisen für tot hielt?
    Den Hof weiterhin im Blick trafen sie eine Entscheidung. Sie mussten sich Gewissheit verschaffen. Was ihnen inzwischen merkwürdig vorkam, war die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte. Als wäre er verlassen worden. Dass sie von den Leuten aus dem Dorf vertrieben worden waren, hatte einiges an Zeit gekostet: Zeit, in der der Hof unbeobachtet geblieben war.
    Eigentlich hatten sie vorgehabt, den Einbruch der Nacht abzuwarten. Doch diese alles beherrschende Ruhe passte ihnen nicht. Sie überprüften, ob ihre Pferde sorgfältig an Sträuchern festgebunden waren, dann griffen sie zu den Waffen. Ohne ein weiteres Wort machten sie sich an den Abstieg ins Tal. Geräuschlos sanken ihre Stiefel in den schweren Boden ein. Die Erde roch nach feuchtem Moos. Die Männer verspürten keinerlei Furcht, so etwas kannten sie nicht, sie waren konzentriert und bereit, bereit für den nächsten Schritt.
     
    *
     
    Die Kutsche durchquerte ein Flüsschen, rechts und links sprühten die Räder wahre Fontänen in die Luft. Bernina verspürte Ungeduld, sie freute sich auf Freiburg und wollte rasch dort ankommen. Andererseits gab ihr dieses träge, beschauliche Rumpeln noch Zeit, sich auf das vorzubereiten, was ungewohnt für sie war: das drängelnde Gewimmel der Stadt, die Stimmen, der Krach. All die vielen Eindrücke, die auf sie einströmen würden – die sie auf eine Art genoss und die sie zugleich ein wenig

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