Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
erweisen, dem auch ich zu helfen versuche.«
»Wer ist das?«
»Der wichtigste Herr, den es in unseren bluttriefenden, kriegerischen Zeiten geben kann.« Mentiri sah sie an, tiefe Fältchen um die Augen. »Der Frieden, Bernina. Mein Herr ist der Frieden.«
Kapitel 8
Der dunkle Pfad
Das Vorankommen war beschwerlich geworden. In immer höhere Lagen ging es hinauf. Eine einsame, so gut wie nicht besiedelte Landschaft. Talabschnitte, Berge, Wälder, schwarz und scheinbar undurchdringlich. Darüber prangte ein farbloser Himmel, die Luft war klar und frisch, beinahe mit Händen zu greifen.
Doch wenn die Gangart der Pferde auch langsamer war, Franz von Lorathots Herz schien schneller zu schlagen. Er kannte das aus dem Krieg, aus vielen Schlachten, die beinahe zum Stillstand gekommen waren, weil sich keine Seite durchzusetzen vermochte. Oft genügte ein einziger Moment, ein kleines Manöver, und die Möglichkeit, eine Entscheidung herbeizuführen, lag plötzlich in greifbarer Nähe.
So fühlte er sich auch heute, jetzt, in diesen Minuten, nachdem sein Späher ihm Bericht erstattet hatte und dabei war, sich auf den Rückweg vorzubereiten. Diese Reise, die lange kein Ziel zu haben schien, steuerte nun doch auf einen bestimmten Punkt hin. Es konnte gar nicht anders sein. Nach wie vor lagen Kurfürst Maximilians Absichten im Dunkeln, aber immerhin gab es nun einen Ort, den man ins Visier nehmen konnte.
Franz von Lorathot trieb seine Soldaten nicht zur Eile an, angesichts des Geländes wäre das ohnehin sinnlos gewesen. Und sie mussten nach wie vor vorsichtig sein. Immer wieder betrachtete der Feldmarschall die Landkarten, die er in den sehnigen Händen hielt. Alles deutete darauf hin, dass Maximilians Tross zu einem Kloster unterwegs war. Die Richtung, die eingeschlagen worden war, ließ keinen anderen Schluss zu. Lorathot war jenes Kloster lediglich dem Namen nach bekannt, keine hohen Persönlichkeiten hielten sich seines Wissens dort auf, nichts hatte sich dort ereignet, was einen Hinweis auf Maximilians Vorhaben zu geben vermochte. Aber außer dem Kloster gab es nichts – kein Dorf, keine Siedlung, keine Festung, nicht einmal ein gemauerter Brunnen würde sich in unmittelbarer Umgebung des Trosses finden lassen.
Lorathot rollte die Karten zusammen, verstaute sie in dem zylinderförmigen Lederbehälter und trat vor das Zelt. Von dort verfolgte er, wie der Mann mit dem langen dunklen Mantel das Pferd bestieg und aus dem Lager ritt, zurück in die Nähe von Maximilian, um weiterhin Augen und Ohren offenzuhalten. Vielleicht sollte er noch weitere Leute losreiten lassen, die sich ihrerseits ein Bild von der Lage verschafften. Der eine oder andere zusätzliche Bericht wäre möglicherweise hilfreich. Gerade jetzt, da Bewegung in die Sache kam. Im Geiste sucht er bereits vier seiner Soldaten aus, die mit besonders guten Pferden ausgestattet werden und sich unverzüglich auf den Weg machen sollten. Feldwebel Euler schien der richtige Mann zu sein, um dieser Gruppe als Anführer zu dienen, ein junger furchtloser Haudegen.
Der Feldmarschall stand noch immer vor dem Zelt. Ja, sein Herz schlug schneller, in seinen Fingerspitzen spürte er ein Kribbeln. Ebenfalls wie vor einer Schlacht. Gleich würde er den Befehl geben, das Lager abzubrechen und aufzusitzen.
*
Der Himmel noch immer grau in grau, die Luft noch immer viel zu kühl für die Jahreszeit. Vögel flatterten auf, aufgeschreckt durch die plötzlichen Bewegungen, die in dem versteckten, unzugänglichen Waldstück für ein Rauschen der Blätter sorgten.
Alwine ging voran, Bernina, Nils und Mentiri folgten ihr. Zwanzig oder dreißig Meter hatten sie sich bisher von dem Lagerplatz entfernt, von dem sie eben aufgebrochen waren. Das Unterholz lichtete sich ein wenig. In der tiefen schweren Erde wurden Wagenspuren sichtbar, in denen sich Reste des letzten Regenwassers gesammelt hatten. Demnach waren sie bestimmt schon einen oder zwei Tage alt.
Schnell wurde deutlich, wie anstrengend der Marsch für Mentiri war. Schwer atmete er, schwerfällig schob er seinen Körper nach vorn. Seine Nase glänzte feucht. Über der Schulter trug er eine Tasche, deren Leder viele seiner Schweißtropfen aufgefangen hatte.
»Wohin führen Sie uns, Herr Mentiri?« Sie musterte ihn von der Seite. »Wieder einmal haben Sie sich sehr bedeckt gehalten.«
Keuchend lachte er auf. »Gedulden Sie sich einen Moment, wir sind gleich da.«
Das Plätschern des Baches war kaum noch hörbar.
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