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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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bemerkte Bernina mit vorsichtigem Lächeln. »Aber ›stehlen‹ könnte der zutreffendere sein, oder?«
    Mentiri lachte laut. »Ich gebe zu, dass es mir in der Seele wehtat, die zahlreichen Kunstwerke, die ich hegte und pflegte, aus den Händen geben zu müssen. Aber das war mein Auftrag, dafür wurde ich bezahlt. Und deshalb tat ich es. Nun ja, einige der Prachtstücke allerdings, die wollten einfach bei mir bleiben. Sowohl in Prag als auch in Heidelberg. Ich sah es als kleinen Bonus für meine Verschwiegenheit an.«
    »Wirklich klein scheint mir der Bonus nicht zu sein«, widersprach Bernina erneut, halb ironisch, halb angriffslustig.
    »Nicht alle Stücke dieser beiden Wagenladungen gehörten nach Prag und Heidelberg, doch etliche davon.« Er seufzte. »Ich habe auch danach viele Tätigkeiten ausgeübt, die mit Schriften zu tun hatten. Sicher, es war nicht richtig, es war nicht rechtens, sich gelegentlich auf diese Weise zu belohnen. Aber, grundgütiger Gott, ich weiß diesen Besitz wenigstens zu schätzen. Bernina, Sie sehen eine Sammlung, die in mehr als 20 langen, gefahrvollen Jahren entstanden ist.« Sorgsam verstaute Mentiri die Pergamentrolle wieder an ihrem Platz. »Darunter ist etwa der Weltatlas ›Theatrum orbis terrarum‹ des Abraham Ortelius, im fernen Jahr 1600 in Prag gedruckt, nur wenige Jahre nach Ortelius’ Tod. Hier finden sich Werke, die auf der römischen Liste der verbotenen Bücher standen, hier finden sich magische jüdische Schriften, hier findet sich eine Übersetzung des berühmten ›Corpus Hermeticum‹, angefertigt von Giordano Bruno – einst als Ketzer verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und hier findet sich das ›Opus Paramirum‹ von Paracelsus oder auch das … « Wie unter einem inneren Zwang brachte er sich zum Schweigen.
    Entschuldigend betrachtete er Bernina. »Verzeihen Sie mir, gelegentlich überkommt es mich, wenn ich von meinen Kindern spreche. Ja, ja, Sie haben richtig gehört. Für mich ist diese Sammlung wie eine Familie.« Fast schon verschämt sah er zu Boden. »Wie die Familie, die ich niemals hatte.«
    »Sie sind also jener Bibliothekar Jan Simons. Von Anfang an hatte ich diese Vermutung.«
    »Und ich habe nicht allzu viel getan, um das im Verborgenen zu lassen.«
    Gemeinsam mit Norby verfrachtete er die Kiste zurück auf die Ladefläche des Wagens, worauf Alwine die Plane zuzog.
    »Sie haben sehr freimütig über Jan Simons gesprochen«, meinte Bernina nach einem Moment der Stille. »Und Sie ließen keinen Zweifel daran, dass er sich bereichert hat. Also, dass Sie sich bereichert haben. Und das bereits mit Ihrem ersten Auftrag, damals in Prag. Sie hätten beschönigen oder unerwähnt lassen können, was Sie getan haben.«
    »Gewiss, gewiss.« Er machte eine demütige Geste. »Aber ich bin alt, und ich fühle mich immer mehr dazu gedrängt, Bilanz zu ziehen.«
    »Weshalb gerade in meiner Gegenwart?«
    »Weil ich Sie schätze, Bernina.«
    »Und weil Sie sonst niemanden hatten. In diesem Keller in Freiburg, umgeben von Tod und Krieg. Sie dachten, es wäre ohnehin vorbei.«
    »Schon möglich.«
    »Und so erzählten Sie, was Sie beschäftigte. Ohne freilich in aller Offenheit einzugestehen, wer Sie in Wirklichkeit sind.«
    »Ich weiß um meine Schattenseiten. Ich weiß um meine Fehler. Und, ja, es war mir ein Bedürfnis, mit meiner eigenen Stimme die Tage von Prag und Heidelberg zurückzurufen. Während ich mir selbst zuhörte, sah ich mich, sah ich den Mann von damals, in jenen Tagen, als mein Leben plötzlich eine neue Richtung erhielt. Nach Prag war ich nie mehr derselbe. Jan Simons gab es einfach nicht mehr.«
    »Und was soll nun mit Ihrer großen Sammlung an Wissen geschehen, Herr Mentiri?« Norbys Stimme stand hart in der kühlen Luft.
    »Sie ist mein Vermächtnis. Und meine Waffe. Mein Werkzeug. Sie ist alles, was von mir zurückbleiben wird. Und wenn ich im Leben wohl nicht viel Gutes bewirkt habe – jetzt ist die Gelegenheit da.«
    Bernina sah ihm in die Augen. »Das reicht noch nicht.«
    »Bitte? Ich verstehe nicht.«
    »Sie müssen schon noch mehr erzählen. Wie lautet Ihr Plan? Wieso baten Sie mich um Hilfe? Selbst jetzt sträuben Sie sich dagegen, alles auszubreiten, was Sie bewegt.«
    »Jahrelange Gewohnheit, wenn Sie so wollen.« Er räusperte sich. Müde spähte er zum Himmel. »Warum ich Sie um Hilfe bat, ließ ich ja bereits durchblicken. Ich kenne niemanden hier, und außerdem habe ich Alwine und vor allem mir selbst etwas zu viel

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