Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Weitere Felsen aus Granit drängten sich zwischen Bäume und Sträucher. Und noch etwas anderes fand sich hier. Bernina sah überrascht auf. Zwei Wagen standen da, vor ihnen jeweils zwei dürre Pferde. Auf den Ladeflächen waren hohe Gestänge angebracht, über die zum Schutz vor schlechtem Wetter Planen gespannt waren.
Sie blieben stehen. Fragend sah Bernina Mentiri ins Gesicht.
»Von außen kein ungewöhnlicher Anblick.« Mentiri kicherte. »Was diese Fuhrwerke jedoch geladen haben, ist mehr als ungewöhnlich.«
»Und das wäre?«
»Geschenke«, antwortete er schlicht. »Geschenke für einen Herrn. Um ihn für uns einzunehmen und zu einem ersten Schritt zu bewegen.«
»Wer ist ›uns‹?«, wollte Bernina sofort wissen. »Doch nicht Sie und Alwine.«
»Nein, gewiss nicht. Sondern eine Gruppe einflussreicher Männer, die ihren Geist und ihre finanziellen Mittel aufwenden, um einen großen Plan in die Tat umzusetzen. Und nicht zu vergessen: ihre gesellschaftlichen Verbindungen.«
»Was sind das für Männer?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte er mit in die Höhe hüpfender Stimme. »Das ist die reine Wahrheit. Ich kenne weder ihre Namen noch weiß ich, wo sie herkommen. Doch seit ich ein winziger Teil des Krieges bin, habe ich mit solchen Zeitgenossen zu tun. Herren, die im Hintergrund die Fäden halten. Die Geld hineinstecken, um noch mehr Geld herauszuholen. Immer wieder in den letzten beiden Jahrzehnten wurde ich von namenlosen Auftraggebern in ihre Ränkespiele einbezogen und habe nicht schlecht verdient. Diese Männer jedoch, mit denen ich es jetzt zu tun habe, verfolgen keine derartigen Zwecke. Sie sind nicht auf Gewinn aus. Im Gegenteil, ihr Ansinnen ist ehrenhaft. Und ich leiste meinen Beitrag zu ihrem Plan. Einen bedeutenden Beitrag, nebenbei bemerkt.«
»Diese geheimnisvollen Herren bezahlen Sie?«
»Nein.« Ein entschiedenes Kopfschütteln. »Mein Lohn lässt sich, zum ersten Mal in meinem Leben, nicht in Münzen berechnen.«
Bernina und Nils betrachteten die Wagen, deren Räder sich tief ins Erdreich gegraben hatten. »Sie und Alwine haben die Wagen kutschiert?«, fragte der Schwede nicht ohne einen Unterton von Respekt. »Den ganzen Weg von Freiburg bis hierher? Bis hinauf ins Gebirge? Das muss eine ungeheure Anstrengung gewesen sein.«
»Kein Kinderspiel«, stimmte Mentiri zu. »Besonders, wenn es geregnet hat. Die Räder blieben oft in Matsch und Schlamm stecken. Jetzt ebenfalls, wie Sie sehen. Es ist unmöglich für uns, die Wagen wieder in Gang zu setzen. Wie eingemauert, die leidigen Dinger. Und wir haben alles versucht, das können Sie mir glauben.«
»Deshalb ist Herr Mentiri«, entfuhr es Alwine, »ja so erschöpft. Er war verletzt, und er ist krank. Er kann kaum ein paar Meter gehen, ohne eine Pause einlegen zu müssen. Und abends hat er noch bei Kerzenschein unaufhörlich geschrieben.«
»Geschrieben?« Bernina schaute ihn prüfend an.
Mentiri erwiderte nichts.
»Ja.« Alwine nickte. »Ständig hat er mit einer Feder auf Papier herumgekritzelt, anstatt zu ruhen. Und für mich war es übrigens auch nicht einfach, diese störrischen Biester in Bewegung zu halten. Vor allem jetzt, da wir die höheren Lagen erreicht haben. Und nun das mit den verdammten Wagen.«
»Krank?«, fragte Bernina dumpf.
»Ach, Alwine übertreibt ein wenig«, meinte er ausweichend und bestimmt in einem.
»Das sind die Wagen, von denen in Freiburg die Rede war, nicht wahr, Herr Mentiri? Zwischen Ihnen und Lorentz Fronwieser. Sein Auftrag war es doch, Wagen zu beschaffen.«
»In der Tat, so ist es«, gab Mentiri endlich offen zu. »Es waren eigentlich drei. Lorentz und sein Gefolge sollten sie lenken und die Pferde antreiben. Nicht etwa Alwine und meine Wenigkeit. Sie wissen, Bernina, es kam alles anders. Also musste ich improvisieren. Die Ladung wurde neu verteilt, eines der Gefährte mussten wir zurücklassen.« Eine kurze Geste mit seiner Hand. »Zuerst hielt ich mein Vorhaben ohnehin für gescheitert, noch ehe es angefangen hatte. Dann jedoch, als ich es glücklicherweise schaffte, mit dem Leben davonzukommen, dachte ich mir, warum sollte ich nicht auch noch den Rest bewältigen? Dann war da ja noch Alwine, die nicht wusste, wohin mit sich, ganz allein auf der Welt. So bat ich sie, gegen eine Entlohnung, mir zur helfen.«
»Viel zu beschwerlich ist das alles für ihn«, warf Alwine mit fast trotzigem Tonfall ein. »Er kann sich kaum aufrecht auf dem Wagen halten, geschweige denn irgendwie auf die Gäule
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