Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
welchem Grund stehen wir hier und quatschen? Es wäre besser … «
»Gib mir nur einen Moment«, unterbrach sie ihn gelassen. »Da wir schon hier sind, möchte ich doch wissen, was eigentlich gespielt wird.«
»Deine Neugier ist unangebracht, Bernina. Das ist Zeitverschwendung – dieser Kerl ist Zeitverschwendung.«
»Neugier ist ein so schnödes Wort«, bemerkte Mentiri. »Ihre Gattin, mein Herr, verfügt eher über Wissbegier – und das ist eine wunderbare Eigenschaft.«
»Ich verfügbare auch über eine wunderbare Eigenschaft: Sie steckt in meinen Fäusten.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Mentiri herablassend.
»Bitte, Nils.« Bernina berührte ihren Mann beschwichtigend am Arm und betrachtete weiterhin Mentiri. »Auf seltsame Weise scheinen Sie sich ständig in mein Leben zu drängen. Vielleicht hat Nils ja gar nicht so unrecht. Eine Abreibung hätten Sie eigentlich bereits für den Diebstahl verdient gehabt.«
»Nicht, wenn Sie mich erklären lassen.«
»Immerzu kündigen Sie Erklärungen an – und was folgt, sind Lügen.«
»Bernina, ich weiß, dass ich … «
»Sagen Sie mir wenigstens«, fiel sie ihm ins Wort, »wie ausgerechnet Sie beide zu einer Reisegemeinschaft werden konnten.«
»Eher zu einer Art Schicksalsgemeinschaft.« Mentiri faltete flüchtig die Hände wie zu einem Gebet. »So sehe ich es. Nun ja, wenn Gottes Wege schon seltsam sind, so sind es meine erst recht. Lassen Sie uns doch Platz nehmen, dann können wir uns angenehmer unterhalten. Und ich werde berichten, wie die junge Alwine und ich von Gegnern zu Verbündeten wurden.«
Bernina verfolgte, wie er zu den Decken unter der Plane ging, um sich mit einem Ächzen darauf niederzulassen. »Bitte, seien Sie so gut«, er winkte ihnen einladend zu, »und leisten Sie uns Gesellschaft.«
Nicht einmal jetzt, nicht einmal hier unterließ er seine manierierten Gesten und Ausdrucksweisen; er blieb sich selbst treu. Und doch war etwas verändert an ihm: Er schien gealtert zu sein, nicht einfach nur um Wochen, fast wie um viele, viele Jahre. Bleicher sein Gesicht, aus dem die Nase spitz hervorsprang, tief in den Höhlen die Augen. Wackliger seine Schritte, zittriger seine Bewegungen, dünner seine Gestalt.
Langsam näherte sich Bernina den Decken, widerwillig gefolgt von Nils, dessen Wut fast mit Händen zu greifen war. Dennoch hielt er sich zurück – ihr zuliebe, wie Bernina klar war. »Warum«, meinte sie, als sie sich hinsetzte, »lasse ich mich immer wieder von Ihnen beschwatzen? Von einem Lügner, der viele Geschichten, aber nicht die Wahrheit kennt.«
Mentiri lachte. »Weil Sie im Grunde Ihres Herzen wissen, wen Sie zu verdammen haben – und wer ein bisschen Nachsicht verdient.«
Mit einem Brummen nahm auch Norby Platz. Abfällig beäugte er Mentiri, der ihn nach wie vor nicht beachtete.
Alwine machte sich an den Taschen zu schaffen. Dann reichte sie Bernina, Mentiri und Nils jeweils eine Schale mit einer hellen Flüssigkeit. »Apfelwein«, erklärte sie knapp, während sie sich am äußersten Rand einer Decke hinhockte, den Umhang über die Schultern gerafft, die Knie in den Männerhosen bis unter das Kinn angezogen. Bernina trank einen Schluck. Vorhin, als sie Alwine erkannt hatte, hatte sie kurz damit gerechnet, es könnten noch weitere Mitglieder aus Lorentz Fronwiesers Bande auftauchen – und sie war froh gewesen, Nils in der Nähe zu wissen. Jetzt war die Situation eine andere. Etwas in ihr drängte sie dazu, ihre Wut auf Mentiri, ihren Argwohn ihm gegenüber, im Zaum zu halten.
»Ich wusste, dass Sie kommen würden«, äußerte Mentiri jetzt mit fast versonnenem Gesichtsausdruck. »Und ich danke Ihnen dafür. Ja, Wissbegier, nicht Neugier. Das zeichnet Sie ebenso aus wie mich. Auch wir beide scheinen eine Schicksalsgemeinschaft zu bilden, finden Sie nicht?«
»Da bin ich mir weniger sicher.« Bernina musterte ihn aufmerksam.
»Ach ja, was war das doch für eine irrwitzige Nacht in Freiburg, als wir uns gewissermaßen aus den Augen verloren. Um ein Haar wäre es die letzte meines Lebens geworden.« Er schürzte die Lippen, als wisse er nicht recht, ob er froh über den Ausgang jener Nacht sein sollte oder nicht. »Einer meiner gedungenen Mörder war mir dicht auf den Fersen. Natürlich war er viel schneller als ich alter Herr. Ich hatte keine Chance. Bald hatte er mich eingeholt.« Ein Lächeln beendete den Satz.
»Aber?«, setzte Bernina das Stichwort.
»Ich traf einige Vorkehrungen. Ein Mann wie ich muss
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