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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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den Blick frei auf zwei bohrende Augen, die in dem hageren Gesicht funkelten, als könnten sie daraus hervorspringen wie von der Bogensehne gelassene Pfeilspitzen.
    Unbewusst machte Mentiri einen Schritt nach hinten, und er stand bis zu den Knöcheln im Wasser. Sein Hals war trocken und rau, als hätte er Sand geschluckt.
    Der Mann kam näher und näher, stoisch, maskenhaft der Gesichtsausdruck, beherrscht die Bewegungen.
    Erst jetzt fielen Mentiri die zwei metallisch blitzenden Gegenstände auf, die sich von der schwarzen Erscheinung abhoben: ein goldener Ring und die silberne Klinge eines Dolches, die aus der Faust hervorlugte. Den Degen, der an der Seite in der ledernen Scheide baumelte, nahm der Fremde nicht zur Hand. Er würde ihn nicht brauchen, es würde keinen Kampf geben, es würde gar nichts geben, nichts außer einem raschen sicheren Schnitt, der seine Kehle durchtrennte.
    Jetzt war der Mann da, er packte den wie festgewachsen dastehenden Mentiri mit der freien Linken, drehte ihn herum und drückte ihn mühelos nach unten. Mentiri ging in die Knie, die von Wasser umspült wurden und in den weichen Untergrund einsanken. Es war bitter, zu scheitern, so kurz vor dem Ziel … , gingen ihm die trostlosen Worte durch den Kopf, die er Bernina gegenüber gebraucht hatte.
    Er wartete auf die kalte Berührung des Stahls an seiner Kehle, wie schon einmal in Freiburg, seine Lider senkten sich herab, schwer, wie aus Gestein, und alles, was er noch fühlte, war eine tiefe Müdigkeit, eine Kraftlosigkeit, die sich bis in seine Zehenspitzen zog.
    Im nächsten Moment ging alles drunter und drüber, ein dumpfer Laut, wie durch einen Schlag, der Schrei einer Frau, und Mentiri wurde in den Teich gepresst, Wasser drang in seinen Mund, er hustete, er würgte, auf ihm etwas Schweres, und erst nach einer langen wirren Sekunde wurde ihm klar, dass ringende Körper ihn unter Wasser drückten. Er strampelte sich frei und verfolgte völlig außer Atem, wie sich der schwarz gekleidete Mann aufrichtete und Fontänen aus winzigen Tropfen aufspritzen ließ. Ein zweiter Schrei, es war Bernina, die sich ihrerseits aus dem Wasser nach oben stemmte, einen Knüppel in der Hand, mit dem sie nach dem Fremden schlug. Sie rief nach Nils, immer wieder. Der Fremde duckte sich unter dem Schlag weg, ebenso unter dem nächsten, seine rechte Hand war leer, das Messer hatte er verloren, und seine Augen starrten auf einen Punkt vor den Bäumen, die den Teich begrenzten.
    Dort war der Schwede aufgetaucht, in vollem Lauf, den Degen gezogen.
    »Nils!«, rief Bernina noch einmal, jetzt wie befreit.
    Der Fremde watete aus dem Wasser, die Mantelschöße trieften, ein weiterer Blick zu Norby. Plötzlich jagte er los, mit schnellen, schmatzenden Schritten. Zwischen grün wuchernden Sträuchern tauchte er hindurch, von einem Wimpernschlag auf den nächsten verschwunden, als wäre er gar nicht da gewesen.
    Norby hetzte ihm hinterher. »Zurück zu den Wagen mit euch beiden!«, zischte er Bernina zu. »Und bleibt zusammen!«
    Auch von ihm war binnen Sekunden nichts mehr zu sehen.
    »Nils«, entwich es Berninas Lippen, diesmal ganz leise, wie ein Stoßgebet, das aus einem Wort bestand.
    Sie wandte sich Mentiri zu, reichte ihm die Hand, um ihn aus dem Wasser zu geleiten. Er japste, blinzelte und konnte kaum glauben, dass er noch am Leben war.
    Beide waren sie völlig durchnässt, Berninas Haarsträhnen klebten glänzend auf ihrer Stirn. Sie umfasste die Schultern des alten Mannes mit ihrem Arm und spürte das Beben, das seinen Körper beherrschte.
    »Das war höllisch knapp«, schnaufte er und löste sich mit dankbarem Nicken von ihr. »Schon zum zweiten Mal habt ihr beide mich gerettet. Irgendwann ist jede Glückssträhne mal zu Ende.« Er bückte sich und griff mit zitternder Hand nach seiner Tasche.
    »Geht es Ihnen gut?«
    »Jetzt schon. Ein weiteres Mal sollte ich meinen Schutzengel allerdings nicht auf die Probe stellen.«
    Bernina hörte gar nicht richtig hin. Ihr banger Blick tastete die Bäume und Gebüsche ab. Nichts zu entdecken. Über den Wipfeln schwebte die bleigraue Finsternis des Abends.
    Nebeneinander schritten sie zurück zum Lager, wo sie von Lottinger empfangen wurden. In kurzen Worten schilderten sie, was sich zugetragen hatte. Besorgt schlug er vor, Nils nachzugehen und ihn zu unterstützen, doch Bernina sagte, ihr Mann habe angeordnet, dass sie alle hier bleiben sollten. Der Knecht Ferdinand bewachte weiterhin die Pferde – ohne die Tiere

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