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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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als zu schätzen.« Der alte Mann zeigte eine nachdenkliche Miene. »Offen gesagt: Ich beneide Sie ein wenig. Um Ihre Kraft, um Ihre offensichtliche Furchtlosigkeit und Ihre jungen Jahre. Sie sind ein Mann, der ohne Zweifel zu gefallen weiß. Ich für meinen Teil bin jedenfalls beeindruckt.«
    »An Ihnen beeindruckt mich vor allem, dass Sie etwas haben, das meine Frau dazu veranlasst, Ihnen zu vertrauen – und Sie nicht zum Teufel zu jagen. Mit Verlaub gesagt.«
    Mentiri musste laut lachen. »Dabei hatte mir Ihre Bernina doch bereits den Rücken gekehrt.«
    »Gewiss. Das war allerdings lediglich die Entscheidung ihrer Vernunft, nicht ihres Bauches. Oder ihres Herzens. In dem Moment, als Bernina von Ihrem Lagerplatz aufbrach, wusste ich genau, dass sie im Grunde nicht gehen wollte.«
    » Ich wusste das nicht, Herr Norby. Umso glücklicher bin ich, dass es so gekommen ist. Wie gesagt, mein Dank gehört Ihnen und Ihrer Frau, und ich werde noch die richtige Gelegenheit finden, um ihn gebührend zum Ausdruck zu bringen.«
    »Ich werde Ihnen danken.« Abermals das Grinsen in Nils Norbys Gesicht. »Und zwar dann, wenn Sie endlich verschwunden sind. Wenn Ihre Mission endlich erfüllt ist.«
    Erneut das Lachen. »So habe ich es noch nicht genannt. Eine Mission.« Mentiri wurde ernsthafter. »Aber genau das ist es. Und jetzt habe ich Hoffnung, dass sie doch noch gelingen möge.«
    »Wir werden sehen«, meinte Norby mit abwartendem Unterton.
    Kurz darauf entfernte sich Mentiri von den anderen. Mit schleppendem Schritt, den Kopf leicht geneigt, ging er zwischen Bäumen hindurch. An einem Schulterriemen trug er eine Tasche, die er so gut wie nie ablegte, selbst während einer Pause wie jetzt. Zweige schabten an seinem dunkelbraunen Wams, das im Verlauf der Reise einige Schrammen erhalten hatte.
    Bernina schaute ihm hinterher und gesellte sich schließlich zu Nils, der noch bei dem Wagen stand, um einen Schluck Wasser zu trinken. »Worüber habt ihr euch unterhalten?«, wollte sie wissen.
    Beiläufig hob Nils die Schultern. »Über dich. Und eigentlich über gar nichts. Jedenfalls kommt es einem so vor, wenn man mit diesem Kauz spricht. Er ist ein Meister darin, Andeutungen zu machen und nie wirklich zum Punkt zu kommen.«
    »Das kann man wohl sagen.« Bernina spähte erneut in die Richtung, in die Mentiri verschwunden war. »Ich sorge mich ein wenig um ihn.«
    »Er ist nicht mehr der Jüngste.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine nicht allein sein Alter. Er wirkt einfach nicht gesund – um es mal vorsichtig auszudrücken.«
    »Du kannst ihn trotzdem nicht ständig im Auge behalten, als wäre er ein kleines Kind.« Erneut setzte Nils den Trinkschlauch an die Lippen. »Bestimmt ist er zu dem kleinen Teich gegangen, an dem wir unseren Wasservorrat aufgefüllt haben. Um sich zu erfrischen. Er hat sich eben schon das Gesicht gewaschen und gekühlt.«
    »Da ist noch etwas.« Bernina rieb ihre Handflächen aneinander, eine Geste der Unschlüssigkeit. »Es ist nur so ein Gefühl, aber … « Sie ließ den Satz verklingen. »Am liebsten würde ich ihm nachgehen, um nach ihm zu schauen.«
    »Bernina, er wird gleich zurück sein.« Nils lächelte und legte den Arm um ihre Schultern.
    »Ich weiß nicht recht«, murmelte Bernina.
    Unterdessen hatte Mentiri das schlammige Ufer des kleinen Teiches erreicht. Er legte seine Tasche ab, sorgfältig darauf acht gebend, dass sie trockenen Untergrund fand. Dann kniete er sich hin. Um ihn herum die knisternden Geräusche des Waldes, in die sich das Rasseln seines Atems mischte: ein Specht hämmerte, Holz knackte, ein Luftzug sorgte für ein Rauschen. Er setzte seinen Hut ab, tauchte die Hände ins kühle Wasser und wusch sich Gesicht und Nacken, genoss die Nässe, die unter seinen Kragen floss. Für einige Sekunden schloss er die Augen, ehe er sich schließlich erhob. Er streckte die Arme und rieb sich das Hinterteil, in Gedanken wenig begeistert über den harten Holzbock des Wagens, der ihn aufs Neue erwartete.
    Als er sich von der spiegelnden Oberfläche des Gewässers abwandte, erstarrte er. Ihm wurde eiskalt. Aus einem ersten Impuls heraus wollte er um Hilfe rufen. Doch kein Laut entwich seiner Kehle. Ihm war, als könnte er nie wieder auch nur ein einziges Wort sprechen.
    Der Mann näherte sich. Dunkel der Mantel, der die hochgewachsene Gestalt wie ein Trauerschleier zu umwehen schien. Die Stiefel suchten sicheren Tritt, die Krempe des Hutes wippte rhythmisch mit und gab so immer nur kurz

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