Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sein. Im Gegenteil, er galt als ehrgeizig und zielstrebig, als scharfsinnig und wissbegierig, als erfolgreich. Keineswegs als romantischer Zeitgenosse.«
»Wem ist es gelungen, ihm den Kopf zu verdrehen?« So angespannt Bernina nach wie vor war, es tat gut, zu reden und zuzuhören. Ansonsten wäre das Warten zu einer noch größeren Tortur geworden.
»Eine höchst eigenwillige Dame, einige Jahre jünger als er – und bereits in festen Händen. Diese Dame war sehr schön, von wunderbarem Wesen. Doch etwas Dunkles umgab sie. Angeblich neigte sie zu schwarzer Magie, stand mit Mächten der Nacht im Bunde. Nur törichtes Geschwätz, jedenfalls für mich. Und ohnehin nicht weiter von Bedeutung.«
»Und er selbst? War er nicht verheiratet? Gerade, da er so hohes Ansehen genoss, wie Sie sagten?«
»Doch, doch. Das war er. Als 22-Jähriger heiratete er eine junge Dame, die dem französischem Hochadel angehörte: die Enkelin König Heinrichs II. Zwei Jahre darauf war er Herzog. Nun ja, es handelte sich um eine Ehe, wie sie in solch erlauchten Kreisen üblich war. Die Verbindung kam nicht etwa aus Liebe zustande, sondern aus Gründen der Vernunft. Sie wissen, auf höchster Ebene sind Hochzeiten so etwas Ähnliches wie schnöde Politik.«
»Den Mann traf die Liebe also ziemlich unerwartet, nehme ich an.« Bernina behielt die Waldränder unablässig im Auge. Nichts regte sich. Gar nichts.
»So unerwartet wie ein Blitzstrahl. Die Dame, die es dem Herzog angetan hatte, war mit einem Mann verheiratet, der ebenfalls der besten Gesellschaft angehörte. Und den der Herzog wiederum überaus schätzte, von dem er viel hielt – und der in seinem Schloss ein und aus ging. Nichtsdestoweniger umgarnte der Herzog die Dame, was er nie zuvor bei einer Frau getan hatte. Geschenke, Einladungen, er schrieb wohl sogar Liebesbriefe. Alles umsonst. Die Frau blieb ihrem Gatten treu. Er war ein hochrangiger Offizier, doch nicht nur das, er muss eine sehr vielseitige Persönlichkeit gewesen sein.«
»Was geschah dann?«
»Unser verliebter Herzog konnte die Schmach nicht ertragen. Nie zuvor war er abgewiesen worden, nie zuvor hatte es ein Ziel gegeben, das er nicht zu erreichen vermochte. Er setzte dem Paar zu, sowohl der Frau als auch dem Mann. Er übte Druck auf sie aus, warf Stolpersteine in den Karriereweg dieses fähigen Offiziers, der darüber hinaus in gewisse Familienstreitigkeiten verwickelt wurde. Verbrechen, die er nicht begangen hatte, legte man ihm zur Last, sein tadelloser Ruf erlitt großen Schaden.«
»Dieses böse Spiel hat dem Herzog nichts gebracht, hoffe ich.«
Mentiri schüttelte sein Haupt. »Nein, überhaupt nichts. Es waren Taten aus reiner Bosheit, aus Eifersucht. Taten, die ihm nicht das Geringste einbringen konnten, am wenigsten das Herz seiner auserwählten Dame. Es kam so, dass der Offizier die Flucht antrat, ganz plötzlich, in einer nebligen Nacht suchte er das Weite, um nie wieder in der Nähe des Herzogs aufzutauchen. Zurück blieb die Frau.«
»Sie ließ sich dennoch weiterhin nicht auf den Herzog ein, nicht wahr?«
»Bernina, Sie sprechen, als würden Sie sie kennen.« Mentiri lachte kaum hörbar auf.
»Ich glaube, das tue ich auch.« Das, was er erzählte, kam Bernina allzu bekannt vor. Eine ähnliche Geschichte stand in der Chronik ihres Vaters geschrieben. Sie blieb gespannt und hörte aufmerksam zu, als Mentiri fortfuhr.
»Wie gesagt, all das half dem Herzog nicht weiter. Hatte er wohl zunächst noch gedacht, nun leichteres Spiel mit seiner Herzdame zu haben, so sah er sich getäuscht. Denn sie wartete einzig und allein darauf, von ihrem Ehemann ein entscheidendes Zeichen zu erhalten: Nachdem er in Sicherheit war, ließ er sie zu sich nachkommen. Auch sie flüchtete aus der Umgebung des Herzogs.« Mentiri wurde von einem kehligen Hustenanfall unterbrochen, bevor er weitersprechen konnte. »Das Paar gab alles auf: die Zugehörigkeit zu den besten Kreisen, ihre Wurzeln, ihr Vermögen, der Mann eine Karriere als Offizier.«
»Charakterfest. Und nicht gerade ängstlich.«
»Und eben sehr verliebt. – Deswegen bewegt diese Geschichte sogar einen alten Knochen wie mich, wenn Sie mir den plumpen Ausdruck verzeihen. Dieses Paar genießt meine Wertschätzung. Andere Menschen hätten sich angesichts der dreisten Bemühungen des Herzogs weniger standhaft gezeigt.«
»Und der Herzog? Versank er in Liebeskummer?«
»Gewiss. Doch er kam darüber hinweg, langsam und schwer, aber nichts währt wohl ewig. Und
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