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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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nachgesagt hatte, über das zweite Gesicht zu verfügen. In diesen unwirklichen Sekunden fühlte Bernina, wie sie selbst in ein Fenster der Zukunft spähte. Keine Einzelheiten waren zu erkennen, da gab es nur diese unerklärliche Empfindung, dass sich etwas Düsteres über ihr ausbreitete. Es war wie eine Prophezeiung, die aus ihrem Innersten an die Oberfläche drang und derer sie sich nicht erwehren konnte. Sie fröstelte. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie man sie hinter vorgehaltener Hand oft genannt hatte.
    Krähentochter.
    Sie war die Frau, die mit den Krähen flog, die mit den Krähen in die Häuser der Menschen schaute. Um dem Teufel Bericht zu erstatten, um Böses zu verbreiten und um arme Seelen zu verfolgen.
    Berninas Kehle schnürte sich zusammen.
    Ja, etwas Düsteres war dabei, in ihrer aller Leben einzugreifen. Sie sah es, sie spürte es.
     
    *
     
    Die vertrauten Gipfelkuppen, bedeckt von dunklen, aus der Ferne fast samtig erscheinenden Wäldern, wölbten sich in einen wolkenfreien Himmel. Das Aroma des Schwarzwaldes, dieses eigentümliche Gemisch aus Fichtennadeln und wilden Kräutern, aus Erde und Moos, stand beinahe greifbar in der Luft. Es war die letzte Stunde der Helligkeit, ehe sich die Finsternis wie ein riesiges Tuch über die Gegend herabsenken würde.
    Ohne Zwischenfälle war der einsame Ritt zurück von Freiburg verlaufen. Doch der Reiter merkte, dass die Anspannung in ihm keineswegs nachließ. Aus geschlitzten Augen maß er seine menschenleere Umgebung. In Gedanken sah er allerdings noch immer seine Frau vor sich, ihr abwesender Gesichtsausdruck, der mit der Schwermut kam, die sie absonderte von ihm. Ein hartnäckiger Verfolger war diese Trauer, einer, den man wohl niemals ganz abschütteln könnte – und dem es dennoch standzuhalten galt. Wie jedem Gegner, wie all den Feinden, denen Nils Norby einst im Gefecht hatte gegenübertreten müssen.
    Deshalb hatte er letzten Endes eingewilligt: Freiburg sollte Bernina ablenken und aufheitern, sollte ihr neue Kraft geben. Außerdem schien es, als wäre sie in einer geschützten Stadt eher in Sicherheit als hier. ›Die Vorboten des Höllenfeuers‹ hörte Norby im Geiste die vielen eingeschüchterten Stimmen der Teichdorfer. Diesmal war es anders als sonst, diesmal griff die Angst vom Land auf die Ortschaften über, als würde der leichte sommerliche Wind, der manchmal über Äcker und Wiesen strich, die Gefahr in sich tragen.
    Er erreichte eine Anhöhe, von der man auf den Petersthal-Hof hinabsehen konnte. Still lagen die Gebäude da. Einige Sekunden lang betrachtete Norby das versteckte Fleckchen, das zu seiner Heimat geworden war, damals, zu einem Zeitpunkt seines Lebens, da er überzeugt gewesen war, niemals mehr irgendwo wirklich anzukommen.
    Nicht der Hof, Bernina war seine Heimat.
    Norby drückte dem Hengst die Fersen in die Flanken und Hugo trabte los, hangabwärts, zwischen Bäumen und Gesträuch hindurch. Die Ruhe umschloss den Reiter wie eine Decke. Ja, dieses Tal bot in der Tat ein gut verborgenes, friedliches Stück Erde.
    Vor dem Hauptgebäude schwang er sich vom Pferderücken. Noch einmal ließ er den Blick wandern. Er entriegelte die schwere Eingangstür und betrat den engen Gang, den Kopf eingezogen, die Decke war fast zu niedrig für seine nahezu sechs Fuß Körpergröße. Dunkelheit empfing ihn, er blinzelte, die Augen noch gewöhnt an das Tageslicht. Dick die Mauern, die im Sommer die Kühle und im Winter die Feuerwärme hielten. Seine Schritte die einzigen Geräusche.
    Plötzlich hielt Norby inne.
    Der Geruch. Nach erloschenem Feuer, nach geröstetem Fleisch. Eindringlich. Frisch.
    Dabei hatte hier mehr als einen Tag lang niemand mehr gekocht.
    Norbys Hand umfasste unwillkürlich den Degengriff, der aus der Scheide an seiner Seite ragte. Noch bevor er die Waffe zu ziehen vermochte, erschien ein schwarzer Schatten vor ihm.
    Unscharfe Konturen, klar und deutlich allein das Blitzen der Augen unter einer dunklen Hutkrempe.
    Die Faust, die auf Norby zuschoss, war von dem schummrigen Hintergrund nicht zu unterscheiden. Er spürte den Schlag am Kinn, seine Beine gaben jedoch nicht nach.
    Wieder der Versuch, den Degen einzusetzen, aber Norby wurde am Arm festgehalten. Ein zweiter Eindringling. Hinter ihm. Norby spürte dessen Atem trotz seines langen Haares im Nacken – offensichtlich ein ebenfalls groß gewachsener Mann.
    Mit einem Tritt beförderte er den Ersten ins Dunkel des Gangs, mit einem Ellbogenschlag gelang es

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