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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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ihm, den Zweiten abzuschütteln. Endlich den Degen in der Hand, doch im selben Moment ein fürchterlich lauter Knall, verstärkt durch die Enge. Eine Wolke aus Pulverqualm hüllte Norby ein, verbiss sich in seine Augen, die sofort tränten. Brennender Schmerz im rechten Arm, die Waffe entglitt seinen Fingern, ohne dass er es hätte verhindern können, der Arm schien wie gelähmt. Eine Muskete war abgefeuert worden, doch er hätte nicht einmal sagen können, von welchem der beiden Widersacher. Nach wie vor die Tränen in den Augen, nichts als Grau und Schwarz um ihn herum, der Geruch nach verbranntem Schießpulver, den er von den Schlachtfeldern kannte, erfüllte seine Lungen. Noch ein Schlag aus dem diffusen Nebel, weitere folgten, Norby wankte, sank aber nicht zu Boden. Irgendwie schaffte er es sogar, einen der beiden Männer mit einem Fausthieb niederzustrecken, ein Glückstreffer.
    Er entdeckte ein flirrendes Hell und bewegte sich darauf zu. Noch zwei oder drei lange Schritte, dann ergoss sich der Tag über ihn, er stolperte, landete auf der Erde vor dem Eingang, wuchtete sich hoch, den süßlich-metallischen Geruch seines Blutes in der Nase. Die Sonne stach ihm in die Augen, aber wenigstens konnte Norby jetzt erkennen, was sich um ihn herum abspielte. Er sah die dunklen Gestalten, die sich ihm schnell und leichtfüßig näherten. Alles in ihm spannte sich an, alles in ihm, jede Faser, wartete darauf, dass ein Schuss aus einer zweiten Waffe sich krachend löste.
    Doch es blieb still, nur das Keuchen der Männer war zu hören.
    Ein silbernes Schimmern, die Klinge eines Dolches, geistesgegenwärtig wehrte Norby den Angriff mit einem Stoß seiner Schulter ab. Sein Gegner stürzte zu Boden, der zweite sprang herbei, Norbys eigenen Degen angriffsbereit emporgehoben – und abermals gelang es dem Schweden, dem tödlichen Stahl zu entgehen, ein Schlag mit seiner Linken, er hörte das Krachen eines Nasenbeins, und für den Bruchteil einer Sekunde atmete er durch.
    Zu früh.
    Etwas traf hart seinen Hinterkopf. Wieder war alles schwarz vor seinen Augen, sein Schädel schien zu platzen. Aber weiterhin blieb er auf den Beinen, auch wenn er völlig die Orientierung verlor. Nur schemenhaft nahm er die Silhouette eines dritten Mannes wahr. Dessen Faust kam auf ihn zu, mit verwirrendem Glitzern, als bestünde sie aus Gold, erneut ein rasender Schmerz, diesmal sank er in die Knie, noch ein Hieb, und er spürte, wie er rücklings auf den Boden prallte.
    Die Zeit schien stillzustehen.
    Benommen starrte er in den Himmel. In dem sich langsam verdunkelnden Blau erschien der Kopf des dritten Mannes.
    Norby schnappte nach Luft.
    Der Mann über ihm grinste.
    Abermals ein endloser Moment.
    Eine Degenklinge erwuchs neben der hageren, unrasierten Visage.
    Norby versuchte, sich aufzurichten, doch in seinem Kopf, in seinem ganzen Körper herrschte eine bleierne Schwere – die Schmerzen im rechten Arm fühlte er nicht mehr, nichts fühlte er, er war wie aus morschem Holz.
    Alles, was er sah, war die Spitze des Degens, die sich mit aufreizender Gemächlichkeit seinem Brustkorb näherte.

Kapitel 2
Die Umarmung des Todes
     
    Gassen voller Menschen, alles strömte zum Münsterplatz. Schon von Weitem war ein Seiltänzer in schwindelerregender Höhe zwischen Kornhaus und Heiliggeist-Spital zu sehen. Lautenspieler und Stelzenläufer, Jongleure und Schaulustige. Ein Bader saß auf einem Hocker und behandelte die Menschen, die in langer Schlange anstanden. Gelenke wurden eingerenkt und Zähne mit einer blutigen Zange gezogen; Selleriesamen gab es gegen Rheuma und Arthritis; Schwefeläther erhielten jene, die unter Läusen litten.
    Bernina schaute hierhin, dahin, es war genau diese Atmosphäre, die aufputschend auf sie wirkte und auf die sie sich schon während der Kutschfahrt eingestellt hatte. Baldus wich nicht von ihrer Seite. Die Blicke, die mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu an ihm wegen seines Wuchses hängenblieben, nahm er einfach nicht wahr.
    Kleinkrämer und Händler priesen aus voller Kehle ihr Angebot an. Krügeweise wurde Dünnbier ausgeschenkt. Nüsse, Äpfel, Sauerkraut, alles in beeindruckend großen Holzbottichen. Aus Lauben waberten Düfte von Braten, Suppen und Honigkuchen über die vielköpfige Masse, die unter blauem Himmel wogte. Eine Vielzahl an Stimmen und Gelächter. Es war, als würde man sich mit allen Sinnen dem Augenblick hingeben, der verlockenden Illusion, dass dieser Tag endlos und die dumpfe Bedrohung des

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