Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
aufzunehmen.« Eine plötzliche Furcht sprach aus den knapp hervorgestoßenen Worten. »Ich habe eine Idee«, meinte sie und wies den Gang hinab. Dorthin, wo sich die Kellerluke unter dem Läufer verbarg. »Zunächst sollten wir uns verstecken. Jedenfalls fürs Erste. Bis Lorentz wieder da ist.«
*
Der Mann mit der gewölbten Stirn und den harten unnachgiebigen Augen hatte den ganzen Tag über das Aroma der Schlacht gerochen, diese absonderliche Mischung aus Pulver, Blut und Angst. Geschosse waren ihm um die Ohren gepfiffen, Blut war auf ihn gespritzt, Qualm hatte ihn eingehüllt. Er hatte eigenhändig gekämpft und getötet, obwohl das von einem Befehlshaber wie ihm nicht erwartet wurde. Und auch jetzt gönnte er sich keine Ruhe. Er war die Linie seiner Soldaten abgegangen, jedenfalls ein gutes Stück weit, begleitet von ranghohen Offizieren.
Nun war er wieder allein, genau vor seinem Zelt, das sich nicht von denen der Untergebenen unterschied. Die, die für ihn in die Schlachten zogen, schätzten ihn dafür, dass er nicht viel Aufhebens um sich machte, dass er nicht mit großer Entourage reiste und einfache Mahlzeiten bevorzugte. Er war einer von ihnen – und doch auch nicht. Er war der Mann, der die Fäden zog, eine herausragende Persönlichkeit dieses Krieges, der viele herausragende Persönlichkeiten zerstört hatte. Nicht jedoch ihn, er schien mit dem Teufel im Bunde zu sein. Immer wieder kam er mit dem Leben davon, immer wieder stand er an der Spitze eines neuen Heeres.
Franz von Lorathot schnupperte noch einmal den Geruch des Tötens, den er so gut kannte, und betrat das Zelt. Auf einem kleinen Tisch brannte eine Bienenwachskerze. Beiläufig betrachtete er die Karte, die er zuvor im flackernden Lichtschein ausgebreitet hatte. Die Bergkuppen, die Wälder, die Ortschaften, all die skizzierten Einzelheiten der umliegenden Gegend hatte er sich genau eingeprägt, bevor er hier eingetroffen war. Er war müde und wusste dennoch, dass es ihm nicht möglich sein würde, Schlaf zu finden. Die nächsten Schritte mussten überdacht, die möglichen Manöver der französisch-schwedischen Verteidigungsarmee abgewogen werden. Dieses ewige Brüten. Er plante, im Morgengrauen des nächsten Tages erneut zuzuschlagen, dem Gegner noch mehr zuzusetzen, ihm kaum Zeit zu geben, einen klaren Gedanken zu fassen. Je schneller, desto besser, je unbarmherziger, desto erfolgversprechender.
Der Feldmarschall nippte an einem Krug mit Bier, das schal schmeckte. Er setzte sich auf einen Klappschemel und atmete durch. Trotz all der Mühen konnte er nicht zufrieden sein. Das große Vorhaben nahm einen schwierigen Verlauf, er machte sich durchaus Sorgen, in eine Niederlage zu rennen. Die Widerstände in und um Freiburg waren groß – wohl größer als erwartet. Mit 10.000 Fußsoldaten, ebenso vielen berittenen Kämpfern und 26 Kanonen war er vorgerückt. Und dennoch hatte er sich mit seiner Streitmacht noch nicht den entscheidenden Vorteil erkämpfen können.
Außerdem wusste er um die zusätzliche Gefahr, dass aus Frankreich möglicherweise Verstärkung für die belagerte Stadt anrückte. Bislang hatten seine ausgesandten Spähtrupps jedes Mal Entwarnung gegeben: keine weiteren feindlichen Truppen in Sicht. Immerhin das war ein Grund für Zuversicht. Und dennoch war es wie immer: Es zehrte unendlich an den Kräften, an den Nerven. Hundemüde, hungrig, mit schmerzendem Schädel und steifen Gliedern. Warum tat er sich das alles an?, fragte er sich.
Hinzu kamen Kleinigkeiten, die von Lorathot verärgerten. Etwa jene schwer einschätzbaren Gerüchte über Nils Norby. Jahrelang hatte er nichts von diesem alten Widersacher gehört, und nun das: Erst brachte man ihm einen vermeintlichen Beweis für Norbys Tod und anschließend war der Schwede angeblich aus einem von Lorathots eigenen Gefangenenlagern entflohen.
Merkwürdige Geschichten, die sich dieser Krieg ausdachte.
Was dem Feldmarschall noch weitaus weniger gefiel, war die Tatsache, dass seine drei Spürhunde nichts mehr von sich hören ließen. Oder waren sie lediglich noch zu zweit? Der dritte war nach wie vor nicht aufgetaucht, jedenfalls nicht hier. Mochten sie in Freiburg weitergekommen sein? Von Lorathot wollte endlich Klarheit haben, nichts hasste er mehr, als zu warten.
Er trank gerade noch einmal von dem Wasser, als ihm ein Bote angekündigt wurde. Mit einem knappen Nicken ließ er den Mann zu sich bringen. Also doch die Spürhunde. Hatten sie endlich Erfolg
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