Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
der Lederbeutel vor seine Schuhspitze geschleudert. Ohne die Fremden aus den Augen zu lassen, hob Fronwieser ihn auf. Die Männer stets im Blick betastete er den Inhalt und stellte fest, dass die Summe wohl stimmen musste. Es war noch mehr, als er bei von Mollenhauer herausgeschlagen hatte.
»Dann mal raus mit der Sprache«, forderte der Mann, während sein Begleiter stumm blieb. So war es auch bei den bisherigen Treffen gewesen.
»Der Herr, den ihr sucht«, begann Fronwieser, nachdem er den Beutel in seiner Kleidung verschwinden lassen hatte, »hält sich nicht weit von hier versteckt. Es hat mich allerdings einiges an Mühe gekostet, ihn ausfindig zu machen.« Er beobachtete sie weiterhin genau. Tatsächlich, sie schienen nichts von seinem Spielchen zu ahnen, im Gegenteil, sie waren allein auf seine Auskünfte erpicht. Hätte er die Summe sogar weiter hochtreiben können? »Das Haus liegt nur ein paar Straßen entfernt.« Er schilderte den Weg dorthin, knapp und dennoch präzise, beschrieb auch das Aussehen des Gebäudes.
Ohne eine einzige Regung hörten ihm die Fremden zu.
»Dir ist klar: Wenn du uns Märchen erzählst, finden wir dich.«
»Und ob mir das klar ist.« Fronwieser war jetzt spürbar gelassener. »Doch wie ich schon sagte: Auf mein Wort ist Verlass.«
Die Männer gaben ihm keine Antwort.
Langsam begann er, sich rückwärts von ihnen zu entfernen. Tock-tock-tock ließ sich die Krücke vernehmen, leise und rhythmisch.
»Wir werden dich finden«, wiederholte einer der beiden.
Fronwieser hob die Hand. »Es war mir ein Vergnügen, mit den Herren Geschäfte zu tätigen.«
Noch einen Schritt nach hinten, noch einen, und er berührte mit dem Oberarm den Rahmen des Tores. Weiterhin fixierte er die Männer, die ihm regungslos nachstarrten. Nichts in diesen Mienen zu lesen, mehr Masken als Gesichter.
Rasch drehte er sich um, empfangen von der gespenstisch finsteren Stadt, eilig lief er los, das Tock-tock schneller und schneller. Durch den Stoff der Kleidung spürte er die Münzen. Er blickte sich um, einmal, zweimal, doch niemand war zu sehen. Er nahm die nächste Hausecke, gleich darauf die nächste, eine Gasse, die wenige kannten, ihm hingegen vertraut war, und erst jetzt fühlte er sich sicherer, erst jetzt atmete er tief durch. Sein berühmtes Grinsen huschte ihm übers Gesicht.
Ja, dachte er, geschafft, endlich war ihm ein Meisterstück gelungen, endlich, endlich, endlich. Die beiden Schatten, die wie aus dem Nichts heranschwebten, verwoben mit der Nacht, bemerkte er nicht. Er wurde mit voller Wucht von dem Ende eines Pistolenlaufs am Hinterkopf getroffen, in seinem Schädel explodierte es, das Kopfsteinpflaster kam rasend schnell auf ihn zu. Wie aus weiter Entfernung hörte er die Schritte der Männer. Neben ihm blieben sie stehen. Er war wie gelähmt, konnte keinen Finger rühren, es war, als würden prallvolle Mehlsäcke auf ihm liegen. Nur in seinen Augen schien noch Leben zu sein, er blinzelte, nahm wahr, dass die Männer die Stoffstreifen von ihren Stiefeln entfernten, als wäre das in diesem Moment das Dringlichste überhaupt.
»Er atmet noch«, ertönte eine Stimme neben ihm. Etwas Kaltes berührte seine Kehle. Stahl. Sofort war ihm klar, dass es eine Messerklinge war.
»Sicher ist sicher«, erklang erneut die Stimme, diesmal ganz leise.
»Du brauchst ihn nicht abzumurksen«, kam die Antwort, ebenso leise.
»Ich hinterlasse ungern Zeugen. Vor allem jetzt, da wir dem Ziel näher sind als je zuvor.«
»Wenn er uns Unsinn erzählt hat, brauchen wir ihn womöglich noch. Um die Wahrheit aus ihm herauszukitzeln.«
»Falls er tatsächlich gelogen hat, kennt er die Wahrheit wahrscheinlich überhaupt nicht. Wie gesagt, ich hinterlasse ungern Zeugen.«
Lorentz Fronwieser stöhnte. Die kalte Messerklinge. Der Schmerz in seinem Kopf. Die dumpfe Schwere in seinen Knochen. Die übermächtige Wehrlosigkeit, die ihn erfasst hatte. In dieser Sekunde wurde darüber entschieden, ob er leben oder sterben sollte. Und er konnte nichts tun, gar nichts.
*
Geduckt schob er seine große Gestalt zwischen zwei dicht stehenden Fachwerkbauten hindurch. Er suchte nach dem schäbigen Haus, das ihm der Wirt beschrieben hatte. Es musste direkt in der Nähe sein. Weiter, sagte er sich, immer weiter und weiter.
Zunächst war die Enttäuschung groß gewesen, wie ein bitterer Nachgeschmack hatte sie auf seiner Zunge gelegen. Der Wirt, gepackt von Todesangst, die Messerklinge an der Kehle, war kaum zu einem
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