Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
vordere Tür war von innen verriegelt, wie Norby durch kurzes Rütteln feststellte. Er wusste um den Hintereingang, doch glaubte er kaum, dass es sich dort anders verhielt, nicht in einer Nacht nach dem Einsetzen der Schlacht.
Mit der Faust begann er auf das Holz zu trommeln, dumpfe Schläge, die angesichts der Ruhe geradezu gespenstisch wirkten. »Wirt!«, rief er. »Wirt, mach die Tür auf!«
Norby ließ seine Hand sinken, seine Stimme verklingen. Er legte Seil und Haken zu seinen Füßen ab, unschlüssig, wie er weiter vorgehen sollte. Plötzlich – ein Geräusch. Knirschende Sohlen im Gassenstaub. Norbys Hand zuckte unter den Aufschlag seines Wamses.
Eine Gestalt, der Schemen eines Mannes.
»Was willst du?«, polterte eine Stimme.
Norbys Augen wurden zu Schlitzen.
Der Mann trat vor ihn, einen Knüppel erhoben, bereit zum tödlichen Schlag. Ins Holz der Schlagwaffe waren Nägel getrieben worden, um die ohnehin schon furchtbare Wirkung noch zu verstärken. Es war der Wirt, Norby hatte ihn sofort erkannt.
»Ich will eine Auskunft«, sagte Norby kalt.
»Gib Ruhe und verschwinde. In meinem Haus stapeln sich die Gäste bis unter die Decke. Ich nehme niemanden mehr auf. Und sowieso keinen Störenfried wie dich, auch wenn du schon mal mein Gast warst. Na los«, fuhr der Mann fort, »hau ab, sonst prügle ich dir deinen vorlauten Schädel zu Brei.«
Norbys Lippen verformten sich zu einem schmalen Grinsen. »Wenn ich so nett aufgefordert werde, gehorche ich natürlich gerne.«
»Das will ich dir auch geraten haben. Also los, du … «
Der Wirt hatte noch nicht ausgesprochen, als ihn die linke Faust des Schweden am Kinn traf und zu Boden beförderte. Ein gezielter Tritt – und der Knüppel flog aus der Hand des Mannes. Überrumpelt blinzelte er hilflos nach oben.
Norby ergriff ihn mit der Linken an seinem schmutzigen Kragen, zog ihn auf die Beine und setzte ihm mit der Rechten den Dolch an die Kehle, den Helene ihm gegeben hatte.
Der Kerl schnappte entsetzt nach Luft.
»Wie bereits gesagt«, erklärte Norby ruhig, »ich will lediglich eine Auskunft. Es geht um eine Frau. Du weißt, wen ich meine. Eine Frau, die sich in Begleitung eines Gnoms befindet.«
*
Bernina überwand die Sprossen und stemmte sich aus dem geheimen Kellergewölbe hinauf ins Erdgeschoss des Fachwerkhauses. Die Nacht war gekommen, in der Tiefe völlig unbemerkt. Undurchdringliche Schwärze verhüllte die Stadt, die nach wie vor den Atem anhielt, auch jetzt, da der Sturm aus Blut und Gewalt eine Pause einlegte.
Während Baldus die Falltür herunterklappte und den Läufer darüber ausbreitete, ging Gotthold von Mollenhauer voran in die Küche. »Mehr als Brot und Kompott habe ich leider nicht anzubieten«, erklärte er leise, als könnten unbedacht laute Worte die Ruhe draußen aus ihrem zerbrechlichen Gleichgewicht bringen.
Bernina und der Knecht folgten ihm. Von Mollenhauer stellte das mitgebrachte Talglicht auf den Tisch.
»Sie haben von Jan Simons erzählt, nicht jedoch von dem großen Plan.«
»Ja, es gäbe noch einiges zu berichten. Doch befürchte ich, mein Plan ist gestorben.« Er breitete die Arme aus. »Ich hätte Fronwieser dafür gebraucht. Ihn und seine Helfer.«
»Mich haben Sie nach wie vor, von Mollenhauer.« Die Stimme strömte aus der Dunkelheit des langen Gangs auf sie zu, heiser, rau, wie die eines bösen Geistes.
Alle drei zuckten zusammen – und versuchten nicht, ihr Erschrecken zu verbergen.
Das Klacken der Krücke setzte ein. Niemand anders als Lorentz Fronwieser schob sich auf sie zu, totenbleich, diesmal ohne Hut, dafür mit einem dicken, bereits schmutzigen Verband, der seinen gesamten Haarschopf bedeckte. In seiner freien Hand hielt er eine Pistole mit trichterförmigem Lauf. Und hinter ihm tauchten lautlos, geradezu geisterhaft, zwei weitere Gestalten auf, die eine schmal, die andere breit und dickbäuchig: Es waren Alwine und jener Mann, den Bernina im Spinnhaus schlafend auf dem Bett liegen gesehen hatte, als sie Baldus befreite.
»Ich hörte, du seist tot, Lorentz.« Der feste Tonfall von Mollenhauers wirkte bemüht.
»Das war ich auch.« Der Krüppel grinste und deutete mit der Waffe den Gang hinab. »Aus welchem Loch seid ihr gekrochen?«
»Dort unten befindet sich etwas«, erwiderte von Mollenhauer, »um das du dich hättest kümmern müssen. Du und deine Männer. Aber die Hasenfüße haben sich aus dem Staub gemacht.«
»Die Fracht für die Wagen? Sieh mal einer an. Die Wagen
Weitere Kostenlose Bücher