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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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leise.
    »Kein Zweifel, er ist ein seltenes Exemplar. Einerseits ein Gauner wie viele, andererseits gerissener als die meisten. Im Grunde war er keine schlechte Wahl. Er half mir dabei, mein Leben im Versteck zu führen. Und er versorgte mich mit allerlei Informationen, die er hier und da aufschnappte.« Von Mollenhauer lächelte schmal. »Er ist eine arme Kreatur, für die man Verständnis aufbringen muss.«
    »Verständnis?«, platzte Baldus der Kragen. »Da kann ich mich einfach nicht mehr zurückhalten. Er ist ein verdammter Mistkäfer, ein Dieb, ein Betrüger, ein Hund, der sogar vor Mord nicht zurückschreckt.«
    »Das ist mir durchaus bewusst«, erwiderte von Mollenhauer besänftigend. »Aber auch ein Hund hat eine Geschichte.« Er räusperte sich. »Im Laufe meiner Jahre in Freiburg erfuhr ich einiges über Lorentz Fronwieser. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, sein Vater war ein Dieb und Trunkenbold. Für jemanden wie Lorentz gibt es vom ersten Atemzug nichts anderes als den Kampf ums Überleben. Der Vater schlug ihn, vermietete ihn als Arbeitskraft, um plötzlich von einem Tag auf den anderen zu verschwinden und Lorentz als Gassenjungen zurückzulassen. Als Zwölf- oder Dreizehnjähriger bewarb er sich um das niedrigste Amt, das die Stadt zu bieten hat. Kloakenfeger und Hundefänger – im Ansehen also noch unter dem verachteten Knecht des Scharfrichters. Und von jetzt an bestand der Alltag des Jungen darin, die heimlichen Örtchen zu säubern, tote Säuglinge zu melden, die mittellose Eltern in Gräben und Holzverschlägen liegen gelassen hatten, und verendete Hunde und Katzen von den Straßen zu schaffen.« Von Mollenhauer nickte vor sich hin. »Gleichzeitig bildete er sich selbst zum Dieb aus, er wurde zu einem Gauner. Und irgendwann schnappte ihn sich der Krieg, wie der Krieg sich alle Lorentz Fronwiesers dieser Welt schnappt, um sie aufeinander einschlagen zu lassen. Eines Tages riss Lorentz während eines Gemetzels das halbe Bein ab – und damit fand er sich erst recht wieder da, wo er immer schon gewesen war. Mitten im täglichen Kampf ums nackte Überleben.«
    »Das mag alles wahr sein«, entfuhr es Baldus. »Als Entschuldigung für jemanden wie Lorentz kann ich das dennoch nicht gelten lassen. Sehen Sie mich an. Ich hatte selbst keine guten Voraussetzungen. Und trotzdem bin ich nicht zum Verbrecher geworden.«
    »Herr von Mollenhauer erzählt das gewiss nicht«, ließ Bernina sich vernehmen, »um Lorentz zu entschuldigen. Lediglich, um sein Verhalten zu erklären.«
    »Ich betrachte die Welt einfach nur so, wie sie ist«, meinte von Mollenhauer. »In all ihrem Schrecken. Und ich muss sagen, dass es nicht leicht ist, älter zu werden. Man erkennt, dass man zeit seines Lebens zu wenig getan hat – zumindest nicht das, was in den eigenen Möglichkeiten gestanden hätte. Im Gegensatz zu Lorentz hatte ich Möglichkeiten. Bildung, einen guten Stammbaum. Und was habe ich bewirkt? Nichts. Ich habe mich allein um meine kümmerlichen kleinen Belange geschert.« Grüblerisch starrte er auf seine Hände, die er vor sich auf der Tischplatte gefaltet hielt.
    »Daher der große Plan, um den Sie nach wie vor ein Geheimnis machen?«, warf Bernina ein.
    »Ja, zumindest auch daher. Der große Plan. Unzählige Bücher habe ich gesammelt in all den Jahren. Und plötzlich schienen sie etwas bewirken zu können. Etwas, das meine Vorstellungen bei Weitem übertraf. Doch leider, so sieht es aus, trat diese Gelegenheit zu spät in mein Leben.«
    Polternde Schritte rissen sie aus der Unterhaltung. Alwine stürmte in die Küche, einen prall gefüllten Sack über der Schulter. Sie griff nach den Zinntellern, die an der Wand hingen, und stopfte sie zusätzlich hinein. Anschließend legte sie den Sack auf dem Boden ab. »Müsste Lorentz nicht längst da sein?« Fragend sah sie zu Konrad, doch der hob lediglich die Schultern.
    Sie machte eine unschlüssige Geste und verschwand erneut nach oben. Man hörte, wie sie mit ihrem unermüdlichen Herumstöbern fortfuhr.
    Nur wenig später rannte sie zurück ins Erdgeschoss, darauf bedacht, möglichst leise zu sein. Fahrig spähte sie durch das zur Straße gelegene Fenster. »Konrad! Da streichen komische Gestalten ums Haus. Gegenüber, in dieser Hofzufahrt, hab ich sie entdeckt.«
    Konrad hob die Waffe an. »Wir können uns wehren.«
    »Wenn das die sind, von denen ich denke, dass sie es sind … « Alwine machte eine Pause. »Dann sind sie zu gefährlich, um es mit ihnen

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