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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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leeren Fensteröffnung eines Stalles blieb er länger stehen, als er eigentlich wollte. Stumm beobachtete er, wie ein älterer Mann mit Tränen in den Augen auf ein klapperdürres Pferd einredete, das leise aufschnaubte. Der Mann verband dem Tier die Augen mit einem langen Stoffstreifen, streichelte sanft über die Mähne. Plötzlich ein Messer in der schwieligen, eben noch zärtlichen Hand, die Klinge drang in den Hals ein, ein kurzes überraschtes Wiehern, Blut strömte, das Pferd sank zur Erde, und sein Besitzer starrte weinend ins Nichts.
    Norby wollte gerade weitergehen, da ertönten leise Stimmen in bayerischem Dialekt. Geistesgegenwärtig schwang er sich durch das Fenster in den Stall. Der weinende Mann erschrak, er starrte den Schweden an, das blutige Messer in der Faust. Die Soldaten eilten an dem windschiefen Bau vorbei. Der Mann äußerte keinen Ton. Als die Schritte der Soldaten verklangen, nickte Nils ihm dankbar zu, und der Fremde nickte zurück. Dann setzte Nils seinen Weg fort.
    Etwa zur gleichen Zeit kümmerte sich Bernina abermals um den Verwundeten, der von Krämpfen gepackt aufschrie, ganz plötzlich, nachdem er eben noch friedlich geruht hatte. Seine Augen rollten wild in ihren Höhlen, mit den Händen fuchtelte er in der Luft, als befände er sich mitten im Gefecht. Bernina versuchte, ihn zu beruhigen, und sie erschrak, als Baldus unvermittelt neben ihr stand.
    »Hören Sie!«, raunte er ihr zu. »Unten!«
    Die Stimme des Verletzten verlor sich in heftigem Keuchen, er lag schon wieder ruhig da, und so drangen die Geräusche aus dem Erdgeschoss an Berninas Ohr. Ein Poltern, ein Quietschen, angestrengtes Schnaufen – und dann das Trampeln von schweren Stiefeln, das von dem Läufer im Flur gedämpft wurde.
    Baldus wollte aus dem Zimmer laufen, aber Bernina hielt ihn auf. »Warte.«
    »Jemand ist durch den Hintereingang eingedrungen«, flüsterte der Knecht.
    Unten wurden Schubfächer und Schranktüren aufgerissen, die gleichen Geräusche wie in jener Nacht, als Alwine das Haus durchstöbert hatte.
    »Plünderer«, betonte Bernina leise.
    Ein Zimmer nach dem anderen nahm man sich vor, die Schritte klangen langsamer, gelassener – offenbar waren die Eindringlinge zu der Überzeugung gelangt, es mit einem verlassenen Gebäude zu tun zu haben.
    »Und jetzt?« Baldus starrte zur offenen Zimmertür. »Verstecken wir uns?«
    »Sie werden gleich nach oben kommen. Und sie werden uns gewiss entdecken, sie suchen alles gründlich ab.«
    »Zu dumm, dass wir nicht unbemerkt zur Kellerluke gelangen können.« Ratlos schüttelte er den Kopf. »Ich habe einen Dolch, mehr nicht. Und hier oben gibt es keine Waffen. Wir sind verloren.«
    Bernina betrachtete den schlafenden Soldaten, der völlig verschwitzt war. »Los, Baldus, lass uns nach nebenan gehen.«
    Sie führte ihn in das Laboratorium, ohne allerdings zu wissen, was sie hier wollte. Mitten in dem Raum standen sie, Bernina ließ ihren Blick schweifen. »Ich dachte, hier käme mir vielleicht eine Idee.«
    Baldus ergriff einen großen Glasbehälter, der mit dem Wort ›Alkohol‹ beschriftet war. Es gab mehrere davon, alle randvoll. »Ein Jammer, dass das Zeug ungenießbar ist. Dann würde ich wenigstens betrunken sterben.« Sein Lächeln geriet zur Grimasse.
    »Los, los!«, brüllte unten eine männliche Stimme. »Auf nach oben.«
    »Wir sind verloren«, sagte der Knecht erneut, während Bernina keinen Ton von sich gab.
    »Nach oben«, wurde der Befehl ungeduldig wiederholt. »Und dann begutachten wir das nächste Haus.«
    »Hol die beiden Decken aus dem Zimmer des Soldaten«, wies Bernina den Knecht an, der verwundert aufsah, dann aber pfeilschnell losrannte.
     
    *
     
    Sofort erfasste ihn der durchdringende Gestank, als er hinter einen Misthaufen hechtete. Er wartete kurz ab, ehe er in die Gasse spähte, die er eben noch entlanggeschlichen war. Abermals wäre Nils Norby um ein Haar einer Gruppe von Soldaten in die Arme gelaufen.
    Sie waren nur zu viert, sprachen wie zuvor schon die anderen Männer einen bayerischen Dialekt. Zwei von ihnen trugen je einen toten Kameraden auf den Schultern. Sie unterhielten sich leise, stoppten dann völlig unvermittelt. »Hier!«, lautete die Anweisung. Die beiden Toten wurden in eines der Bächle geworfen, das seitlich der Kopfsteinpflastergasse verlief. Mit den Schuhspitzen drückten die drei Soldaten die schlaffen Körper tiefer ins Wasser, dann marschierten sie davon.
    Norby kam aus der Deckung. Ohne Zögern begab er

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