Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
beschränkte sich auf Andeutungen. So ist alles in einem sonderbaren Dunkel geblieben. Und ich werde nie mehr eine Frage an diesen eigenwilligen Herrn richten können.«
Auch über einen anderen Mann sprachen sie an diesem Morgen, über den gefürchteten Feldherrn von Lorathot. »Damals«, erinnerte sich Nils, »als ich unter dem Kommando meines Königs von Nord nach Süd durch das Kaiserreich zog, von Gemetzel zu Gemetzel, da kam es bereits zu den ersten Aufeinandertreffen mit Franz von Lorathot. Manchmal konnten wir uns sehen, mitten auf dem Schlachtfeld, zwar außer Schussweite, doch nahe genug, um auf den jeweils anderen eine gehörige Portion Hass zu entwickeln. Immer schon hatte ich das Gefühl, dass wir beide, er und ich, eines Tages aufeinanderprallen würden, als wäre das eine unausweichliche Bestimmung.« Trocken lachte Nils auf. »Es ist eigenartig mit uns, mit Franz von Lorathot und mir. So weit voneinander entfernt wurden wir geboren; im Grunde haben wir nichts miteinander zu schaffen. Und doch verbindet uns scheinbar ein unsichtbares Band. Beide sind wir Krieger – mit dem Unterschied, dass ich mein altes Leben abgeschüttelt hatte.«
»Jedenfalls für eine lange Zeit«, warf Bernina ein, als er eine Pause machte. »Bis der Krieg von Neuem entfacht wurde und die Bürgerwehr entstand. Und bis jene drei Reiter in unserem Tal auftauchten.«
»Bei einem von ihnen sah ich den Ring mit dem Wappen einer Stadt in Lothringen. Sie heißt Longwy. Oder in deiner Sprache Langich. Zwei Fische zeigt dieses Wappen. Mir ist bekannt, dass Lorathot solche Ringe zum Dank an seine Unterstützer verteilt. Er stammt aus Longwy, erblickte dort das Licht der Welt. Und da wusste ich, dass die Gerüchte über die anrückende Armee der Wahrheit entsprachen, dass Lorathot doch noch einmal meinen Weg kreuzen würde, ich spürte es, und ich war erfüllt von einer teuflischen Angst um dich. Ich selbst hatte dich ja nach Freiburg gebracht. Allein der Anblick dieses Ringes sagte mir, dass das ein Fehler gewesen war.«
Bernina schmiegte sich dicht an ihn. »Du hast es für mich getan. Mir ist klar, warum du doch noch mit meinem Besuch in Freiburg einverstanden warst: Er sollte mich aufheitern.«
»Nun ja.« Er lächelte, plötzlich wieder mit diesem schalkhaften, fast jungenhaften Ausdruck, als fühle er keinerlei Müdigkeit »Das hat nicht geklappt, was?«
Auch sie musste lächeln. »Vielleicht hat es dennoch Gutes bewirkt.«
»Und das wäre, bitte schön?«
Als Antwort küsste Bernina ihn, so lange wie seit vielen Wochen oder Monaten nicht mehr. »So furchterregend die letzten Tage auch waren«, meinte sie dann, »auf gewisse Weise haben sie mich wachgerüttelt. Es war nicht richtig, wie ich mich verhalten habe. Ich achtete allein auf mich, ich zog mich zurück, was ich mir selbst nicht zu erklären vermag. Es blieb nur noch eine Hülle von mir übrig.«
»Wir müssen von vorn anfangen«, erwiderte Nils. »Wenn wir aus dieser Todesfalle herauskommen, werden wir alles anders anpacken. Mit neuer Kraft und frischem Willen.«
Ein Knarren in den alten Deckenbalken untermalte die Worte, Vögel zwitscherten dem neuen Tag entgegen.
»Ein wundervolles Geräusch«, flüsterte Bernina ihrem Mann zu. »Als wollten die Vögel uns ein bisschen Heiterkeit spenden.«
Mit einem verschmitzten Zug um den Mund meinte Nils nach kurzem Zögern: »Untersteh dich, mich auszulachen … Verstanden?«
»Warum sollte ich?«
»Es ist verrückt, aber auf dem langen Weg vom Petersthal-Hof bis zur Freiburger Stadtmauer hatte ich die ganze Zeit das eigenartige Gefühl, als würde mich eine Krähe begleiten. Gerade in den schwersten Momenten hörte ich ihr Krächzen. Und mein wirrer Verstand gaukelte mir vor, sie würde zu mir sprechen.«
Bernina sah ihn an, ohne eine Regung zu zeigen. »Wer weiß, vielleicht hat sie tatsächlich mit dir gesprochen. Womöglich war es meine Mutter.« Nun doch ein zaghaftes Lächeln ihrerseits, das ihre Worte in einer vagen Schwebe zwischen Ernst und Spaß ließ. »Oder sie ist von meiner Mutter geschickt worden? Du weißt ja, sie wurde Krähenfrau genannt.«
»Hey, du sollst dich nicht über mich lustig machen.«
»Das tue ich gar nicht. Aber … Nun ja, ich erzählte dir ja, dass ich mit meiner Mutter und ihrer rätselhafte Vorliebe für Krähen die sonderbarsten Dinge erlebt habe. Manchmal kam es mir so vor, als würden mich diese Vögel beobachten, meine Nähe suchen. Mutter hat oft gesagt, zwischen Himmel und Erde
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