Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Gerüche von Tod und Verderben.«
Nils nahm sie in den Arm. »Gleich in der Frühe, mit den ersten Sonnenstrahlen, sollten wir aufbrechen. Ich bin wirklich guter Dinge, dass die Tore nicht mehr verschlossen sein werden. Und außerdem«, er lachte kurz auf, »können wir die Arbeit auf dem Hof nicht noch länger liegen lassen.«
Am folgenden Morgen verloren sie keine Zeit. Während Bernina und Baldus den Wagen nutzten, nahm Norby das mit einigen fauligen Rüben halbwegs gestärkte Pferd. Inmitten einer Traube von Menschen, die sich mit dem ersten Aufflammen der Schlacht vom Lande nach Freiburg geflüchtet hatten, trieben sie auf eines der großen Tore zu. Die Stadt, in der sie beinahe den Tod gefunden hätten und die nun einem plötzlich erwachten Bienenkorb glich, gab sie endlich frei.
Bernina schaute nicht zurück, als sie dieses Labyrinth aus Stein hinter sich ließen. Die Trauer um Helene pochte dumpf in ihr, gleichzeitig fühlte sie Erleichterung in sich aufsteigen und ein zartes Glücksgefühl darüber, dass plötzlich die Möglichkeit greifbar war, mit ihrem Mann aufs Neue zu dieser Einheit zu verwachsen, die sie einst gewesen waren.
Ein leichter Regen setzte ein, doch Bernina zog keine Decke über ihren Kopf, ihr langes Haar fing die Tropfen auf. Die kleistrige Hitze, die über der gesamten Gegend lag, wurde weggespült, der Regen war belebend, und Bernina lauschte seinem sanften, melodiösen Prasseln. Für einen kurzen Moment nahm von Mollenhauer in ihrer Erinnerung Gestalt an. Nicht nur um Helene, auch um ihn trauerte sie, denn da war irgendetwas an ihm, das sie für ihn eingenommen hatte. Sie dachte an seine Niedergeschlagenheit und er tat ihr leid. Irgendwann machte sie sich frei von diesen Gedanken. Sie schaute auf, der Regen ließ bereits nach, nur ein flüchtiger Schauer. Die Erfrischung, die er gebracht hatte, tat gut.
Sie kamen nicht schnell voran, was am schlechten Zustand der Tiere lag, aber auch an Norbys Vorsicht. Immer wieder ließ er Baldus den Wagen anhalten, um ein Stück vorauszureiten. Er erkundete die Gegend, stieg von Zeit zu Zeit ab, um sich durch das Dickicht der Sträucher und Büsche zu schlagen. Gelegentlich hielt er einfach bewegungslos inne, um in die Stille zu horchen und darauf zu achten, ob irgendwo Vogelschwärme aufgescheucht wurden.
Besonders im Höllental, seine Erlebnisse auf dem Hinweg noch bestens im Gedächtnis, war es ihm wichtig, sich nicht rasch, sondern vor allem sicher und unauffällig vorwärts zu bewegen, immer am Rande der gewaltigen Schlucht, in der man hier und da auf Überbleibsel von Soldatenlagern stieß: Hufeisen, ausgebrannte Feuerstellen, abgenagte Kochen, blutverschmierte Stofffetzen, mit denen notdürftig Verletzungen versorgt worden waren.
Nachdem sie ohne Zwischenfälle das Tal verlassen hatten, atmete Bernina auf. Beinahe den gesamten Nachmittag hatten sie dank dieser bedächtigen Vorgehensweise eingebüßt, darauf kam es allerdings nicht an. Norby gab die Richtung vor und suchte abgelegene Trampelpfade, auf denen der Esel den Wagen, häufig nur unter großer Kraftaufwendung, durch dorniges, widerspenstiges Gestrüpp ziehen musste.
Als es Nacht wurde, schlugen sie ihr Lager auf. Über ihnen die Sterne, um sie herum die dunkle schützende Wand aus Bäumen. Sie fühlten sich gut aufgehoben. Auch die Tatsache, dass ihnen niemand begegnet war, seit sie aus Sichtweite der Stadt gekommen waren, bestärkte sie in ihrer Zuversicht. Denn normalerweise zogen die großen Schlachten etliche kleinere Tragödien nach sich, wenn versprengte Söldner rechtschaffene Landmenschen überfielen, die sich auf dem Weg zu ihren heimischen Dörfern oder Höfen befanden.
Eulenschreie und das zeitweilige Rauschen eines schwachen Windes waren die einzigen Geräusche in jener Nacht. Norby und Baldus wechselten sich ab mit der Wache, Bernina wurde damit nicht betraut, das kam für Nils nicht infrage. Der Morgen dämmerte, Bernina schmiegte sich an Nils, ihr Kopf an seiner Brust. Sie spürte seinen Herzschlag und machte sie sich bewusst, dass sie ihn zurückgewonnen, dass sie beide sich zurückgewonnen hatten, wie entbehrungsreich der Weg zu diesem Ziel auch immer gewesen sein mochte.
Mehr schlafend als wach gab er ihr einen Kuss.
»Ich habe dich vermisst, Nils«, wisperte sie in sein Ohr.
Er küsste sie erneut und glitt mit einer Hand unter ihr Kleid. Geschützt von dem auf die Seite gekippten Wagen lagen sie beieinander, eingehüllt in eine Decke.
»Nicht hier«,
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