Die Entscheidung liegt bei dir!
Deutschland als unsozial und egoistisch bewertet. Dass sie auch mit Freiheit, Kreativität und Verpflichtung einhergehen können, dass einsichtsvoller Individualismus nicht identisch ist mit Rücksichtslosigkeit – all das ist eher eine anglo-amerikanische Denktradition. Wie es der Nationalökonom Adam |230| Smith (1723–1790) auf den Punkt brachte: »Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir, was wir zur Nahrung brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschlichkeit, sondern an ihre Eigenliebe.«
Ob ein Einzelner sich moralisch »gut« verhält, hat nichts mit Gemeinschaft zu tun, sondern mit der Qualität des Inhalts. Und die hat jeder selbst zu verantworten. Der Verweis auf die Gemeinschaft fördert keineswegs die Moral, sondern oft nur die Heuchelei und Gruppeninteressen.
Vielfach werden schiere Machtambitionen so moralisierend ummäntelt. Unsere Demokratie verfällt zusehends durch den Versuch immer kleinerer Gruppen, im Namen irgendeiner Benachteiligung Wiedergutmachung, Sonderbehandlung und Schutz durch die »Gemeinschaft« einzuklagen. Man hat heute gewissermaßen ein Handicap, wenn man kein Handicap hat. Das ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer Kultur der Selbstverantwortung, die unser Land so dringend braucht: das Bild vom Bürger als zu förderndes Mängelwesen, als Opfer, das von einem fürsorglichen Staat vor den Gefahren des Lebens geschützt werden muss. Leistung ohne Gegenleistung? Kein Problem in Deutschland! Schicksal? Pech? Versagen? Abgeschafft! Es gibt nur noch Risiko, gegen das uns »oben« schützen soll. Kein anderes Land in Europa ist so staatsfixiert wie Deutschland. Das Ethos des Staatsdieners, Reformen von oben, die Regelung der Welt durch Gesetze, Anspruchsdenken, Schlechtwettergeld, im Zweifelsfall auf Nummer sicher (eine Redensart, die aus dem Strafvollzug stammt). Viele wollen zwar die Wohltaten der Freiheit genießen, aber den Preis dafür nicht bezahlen. Sie sind bis zum Äußersten auf ihre Unabhängigkeit bedacht, beanspruchen aber zugleich Hilfe und Bevorzugung. Dabei erhalten gerade die Pseudoverzweifelten |231| jedwede mediale Aufmerksamkeit und fürsorgliche Belagerung. Es ist daher zum allgemeinen Reflex geworden, skrupellos Sozialsysteme auszubeuten, wann und wie immer es geht. Genau das aber erstickt die Stimme der wirklich Benachteiligten. Seit langem ist zu beobachten, dass die Ausweitung des Kündigungsschutzes von Behinderten, älteren Arbeitnehmern und Schwangeren gerade bei diesen Gruppen die Arbeitslosigkeit erhöht. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung sich zu mehr als 90 Prozent auf ein machtpolitisch motiviertes Hin-und-her-Geschiebe innerhalb nicht bedürftiger Mittelschichten konzentriert. Würde man die gesamten deutschen Sozialausgaben den wirklich bedürftigen 5 Prozent der Bevölkerung direkt auszahlen, bekäme jeder einzelne rund 150 000 Euro pro Jahr. Doch dem steht die tatsächliche, überaus kostspielige Verteilung
zugunsten der Verteiler
entgegen. Die allerdings lässt jenen, die sich wirklich nicht selbst helfen können, wenig übrig.
Egoismus hingegen fördert vielmehr in vieler Hinsicht das Gemeinwohl. Jeder Einzelne kann egoistisch – im Sinne seiner Ziele aber vernünftig – handeln und gerade dadurch zugleich allen anderen dienen. Weil wir auf Märkten nur erfolgreich sein können, wenn wir die Bedürfnisse anderer Menschen kennen und befriedigen, ergibt sich beispielsweise aus dem Streben nach einem hohen persönlichen Einkommen das Wohl vieler. Selbstbehauptung und Sorge für andere schließen sich zudem keineswegs aus, sondern ein. Der amerikanische Soziologe Robert Wuthnow hat nachgewiesen, dass 80 Millionen Amerikaner, also 45 Prozent der über 18-Jährigen, sich Woche für Woche fünf Stunden und mehr für freiwillige Hilfsleistungen und wohltätige Zwecke engagieren. In Geld ausgedrückt: ein Gegenwert von etwa 170 Milliarden Dollar.
|232| Erst der Individualismus hat das Bewusstsein geschaffen, dass jeder Mensch einen Wert an sich darstellt und in seinem Streben nach Glück zu respektieren ist. Und es ist klar, dass die Interessen der Einzelnen sich viel besser in die Gemeinschaft integrieren lassen, wenn sie offen angesprochen und zugelassen werden.
Verantwortungsbewusstsein und friedliche Umgangsformen können nur aus der selbstverantwortlichen Ausübung individueller Freiheit
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