Die Entscheidung
Laneys Gewicht von seiner Brust verschwand.
Laney griff instinktiv nach ihrem Erste-Hilfe-Kit, knallte die Tür von Darreks Zimmer hinter sich zu und stürmte zum Nachbarzimmer. Es war verschlossen, aber der Schlüssel steckte von außen. In Windeseile drehte sie ihn herum, zog ihn raus, ging in das Zimmer und schloss von innen wieder ab. Es gab haufenweise Kinder in diesem Dorf. Und Laney war nur froh, dass es immer noch regnete und der Geruch somit hoffentlich nicht bis zu den anderen Häusern vordringen würde.
Das Zimmer sah völlig anders aus als das, in dem Darrek lag. Alles war ordentlich und akkurat hergerichtet. Die Möbel wirkten antik und der helle Boden gab dem Zimmer eine freundliche Atmosphäre. Laneys Blick blieb an dem großen Bett hängen. Die weißen Decken waren zerwühlt und Laney konnte Männerkleidung auf dem Boden liegen sehen. Es wunderte sie, dass die Warmblüter hier einen Menschen versteckt hielten. Es war untypisch und äußerst riskant. Aber eigentlich war das im Moment nicht von Bedeutung.
Ohne zu zögern, riss Laney die Tür des Badezimmers auf und fand unter der Dusche einen nackten jungen Mann, dessen Blut in Strömen in den Abfluss lief. Neben ihm lag eine scharfe Nagelschere, mit der er sich offensichtlich die Pulsadern quer aufgeschnitten hatte. Anscheinend hatte er nicht sonderlich viel Erfahrung mit Selbstmordversuchen, denn sonst hätte er den Schnitt längs gesetzt. Eine solche Blutung war viel schwieriger zu stillen und verheilte auch langsamer.
Laney störte sich kein bisschen an der Nacktheit des Mannes, sondern stellte ohne mit der Wimper zu zucken das Wasser ab und legte dem Mann ein Handtuch um. Er wehrte sich nicht, als sie ihn aus der Dusche zog und gegen die Tür lehnte. Sein sommersprossiges Gesicht und die Traurigkeit in seinem Gesicht waren schwer zu ertragen, aber Laney musste sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Es war nicht der erste Selbstmordversuch, den sie zu behandeln hatte, und ihr war klar, dass es nicht genügen würde, seine Wunden zu heilen. Was er brauchen würde, war psychologische Hilfe. Sonst würde er bei der nächsten Gelegenheit wieder versuchen sich umzubringen. Aber es war unwahrscheinlich, dass Laney mit dieser Idee auf offene Ohren stoßen würde. Wer schickte schon eine Kuh zum Psychologen, bevor sie zum Schlachter musste? Lächerliche Vorstellung.
„Wer bist du?“, fragte der junge Mann mit schwacher Stimme, während er dabei zusah, wie Laney eine Nadel aus ihrem Erste-Hilfe-Kit zauberte.
„Ich heiße Laney und bin angehende Ärztin. Und du?“
„George“, gab der junge Mann zurück und protestierte nicht, als Laney begann ihm die Wunden zu vernähen.
Er schien den Schmerz gar nicht zu spüren. Vermutlich hatte er schon so viel Blut verloren, dass er am Rande der Bewusstlosigkeit stand. Laney wandte sich seinem anderen Handgelenk zu und sah ihm einmal kurz in die Augen.
„Das hättest du nicht tun sollen, George“, sagte sie. „Das ist doch keine Lösung.“
„Ach nein? Mir schien es die einzige Lösung zu sein. Wer weiß, wie lange die mich noch in diesem Erdloch schmoren lassen wollen, bevor sie mich ausbluten. Ich dachte, wenn ich ihnen zuvor komme, dann ist es zumindest weniger schmerzhaft.“
Laneys Blick verdüsterte sich.
„Sie haben dich in ein Erdloch gesteckt?“, fragte sie. „Das ist wirklich nicht besonders nett.“
„Ich … du … bist du auch eine von denen?“
Laney säuberte mit routinierten Bewegungen Georges Arme und strich eine Desinfektionssalbe auf die Wunden.
„Ja. Das bin ich wohl“, gab sie zu, ohne ihn dabei anzusehen.
„Aber … wie … warum macht es dir nichts aus, mein Blut zu sehen?“
„Ich habe mich an menschliches Blut gewöhnt. Ich habe monatelang in einem Krankenhaus gearbeitet. Das ist wohl so ähnlich, als würde man bei McDonaldʼs arbeiten. Irgendwann wird einem schon von dem Geruch des Essens übel.“
George nickte und sah dann zu, wie Laney seine Arme verband.
„So. Das sollte erst mal halten. In einer Woche kann ich dir die Fäden ziehen.“
„Du meinst … sofern ich dann noch lebe“, konterte George.
„Ja“, stimmte Laney zu. „Sofern du dann noch lebst. Aber in einem kannst du sicher sein. Von mir wirst du nichts zu befürchten haben, George. Das verspreche ich dir.“
„Na toll. Wieder einer weniger, der mir das Blut aussaugen will. Vielleicht sollte ich mit jedem Dorfbewohner einzeln reden. Vielleicht würdet ihr mich dann noch zu eurem Haustier
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