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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ermahnt hatte, nichts anderes vorerst meine Sache sein zu lassen, als die Beendigung des Romans, der mir im wesentlichen unter Dach gebracht schien und dessen Ablauf mir klar vor Augen stand. Gewiß würde er Schwierigkeiten bieten bis zum letzten Wort, große zum Teil, aber Schritt für Schritt würden sie zu überwinden sein.
    {547} Gute Freunde sprachen vor und brachten gute Gaben: Dieterles, Neumanns, Helene Thimig, Fritzi Massary. Adorno schenkte Benjamins vorerwähntes Buch über das deutsche Trauerspiel, zu dessen interessantesten Hinweisen derjenige gehört auf den hie und da noch fühlbaren Zusammenhang des Shakespeare-Dramas mit dem allegorischen Teufelsjokus des Mittelalters: Shakespeares Erzschurken und Repräsentanten des Urbösen, die Richard und Jago, wären danach in ihrer oft unzweideutigen und auch von großen Schauspielern immer herausgearbeiteten Komik großartige Relikte aus jener für ihren Schöpfer noch nicht weit zurückliegenden Region religiösen Spaßes, – eine geistvolle Konjektur und reizvoll jedenfalls für mich, den die mit dem Satanischen beschäftigten Teile des Buches natürlich am nächsten angingen. Die Fähigkeit und Bereitschaft, in jeder Lektüre Beziehungen aufzuspüren zum eigenen leidenschaftlichen Betreiben, ist selber fast komisch zu beobachten, und die Wahrheit ist, daß einem das Beziehungsvolle und Anzügliche beständig von allen Seiten entgegenkommt, auf fast kupplerische Weise einem zugespielt wird. Das Gratulationsgeschenk Lion Feuchtwangers, der von meinem Dichten und Trachten doch wenig wußte, waren die Schriften des Agrippa von Nettesheim, – eine große Aufmerksamkeit! Denn darin war nun gleich ein schnurrig entrüstungsvolles Kapitel über Teufelsbannerei und Schwarzkünstlerei und mehr noch: eines über Musik, oder vielmehr gegen sie, voller moralischer Invektiven. Bei den griechischen Poeten, heißt es da, habe der Gott Jupiter
niemals
gesungen, noch die Zither geschlagen, und Pallas habe die Flöte verflucht. »Die rechte Wahrheit zu sagen, was ist doch unnützlicher, verächtlicher und mehr zu meiden, als die
Pfeifer
, die Sänger und andere dergleichen Art Musici, welche … gleichsam durch eine vergiftete Süßigkeit, wie die Sirenen mit ihrem leichtfertigen {548} Singen,
Scheingebärden
und Klang der Menschen Gemüter zu bezaubern und einzunehmen trachten? Dahero haben der tapferen Thrakier Weiber den Orpheum verfolget, weil er mit seinen Gesängen die Männer ganz weibisch gemachet.« – Die Musik ist immer verdächtig gewesen, am tiefsten denen, die sie am innigsten liebten, wie Nietzsche. –
    Allzu viel Gespräch erzeugte Schweißausbruch und Atemlosigkeit, die Frauen drangen auf Schonung und vor allem auf Abwendung von der aufgelaufenen Post, deren Bearbeitung ihnen und der Sekretärin, der treuen Hilde Kahn, Abschreiberin des »Faustus«, zu überlassen war. Hospitalgewohnheiten, wie das nächtliche Teestündchen nebst Einnahme schlafstützender Mittel und zweistündige Bettruhe am Tage, herrschten, zum Teil aus sentimentaler Anhänglichkeit, noch fort. Aber schon zwei Tage nach der Ankunft notiert das wiederaufgenommene Tagebuch »Beschäftigung mit den letzten Teilen des Manuskripts«, und Anfang Juni fand ich mich glücklich wieder, weit hinten, an dem nie befriedigenden Vortragskapitel No. VIII bastelnd und bessernd. Da das Sitzen am Schreibtisch mir Schmerzen im Rücken machte, war eine neue Arbeitspositur einzuführen, die ich bis heute beibehalten habe: das Schreiben in der Sofa-Ecke, auf dem Schoß das in die Metallklammer einer Unterlage gespannte Papier. Auf diese Weise ging ich vormittäglich die Liste der im stillen vorgesehenen Verbesserungen durch. Noch vor Mitte des Monats war sie erschöpft und also der Augenblick des Weiterschreibens gekommen. Doch blieb noch immer der Vorwurf »böser Längen und Lizenzen«, wie das Tagebuch sich ausdrückt, mit dem fahrlässigen Hinzufügen: »– die andere tilgen mögen«. Diese Neigung, die Verantwortung für weitere Eingriffe, die vermutlich energischer Art sein mußten, anderen zuzuschieben, gehörte wohl meinem an Schonung gewöhnten Rekonvales {549} zenten-Zustand an, hing aber auch zusammen mit meiner geheimen Auffassung des Werkes als eines Vermächtnisses, auf dessen Öffentlichwerden ich kaum persönliche Rücksicht nahm, und mit dem Herausgeber und Vollstrecker nach Gutdünken umgehen mochten. Zeitweilig wenigstens war dies meine Anschauungsweise. Übrigens aber hatte ich

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