Die Erben
Feuer. Die dunklen Umrisse der Neuen waren in unerforschlicher Starre dem Wald zugekehrt. Lok wandte sich ab und folgte seiner Nase. Er kroch witternd über den alten Steig, fand die Geruchspur von Fa und die der zwei Männer, die ihr gefolgt waren. Er tappte dahin, die Nase am Boden, der Spur entlang, die ihn zu Fa führen würde. Er hatte großes Verlangen, sie sprechen zu hören und sie mit dem Körper zu berühren. Er beschleunigte seinen Gang durch das Dunkel, das dem Morgengrauen vorangeht, und seine Nase kündete ihm Schritt für Schritt, was sich zugetragen hatte. Hier waren Fas Abdrücke, weit auseinander, sie floh, der Druck ihrer Zehen wühlte einen kleinen Halbmond Erde aus dem Boden. Er erkannte, daß er deutlicher sehen konnte, jetzt da er den Feuerschein hinter sich ließ, denn der Morgendämmer brach hinter den Bäumen auf. Da kehrte abermals der Gedanke an Liku zu ihm zurück. Er wandte sich um, schwang sich an dem gespaltenen Stamm einer Birke in die Höhe und sah durch die Äste auf die Lichtung hinab. Der Wächter, der Fa nachgerannt war, tanzte vor den neuen Gefährten einen seltsamen Tanz. Er kroch zuerst wie eine Schlange, trat dann zu den Trümmern der Höhlen; einen Augenblick stand er aufrecht, dann kam er wieder zum Feuer zurück und schnappte wie ein Wolf. Er deutete; er machte ein rennendes, kriechendes Etwas nach, seine Arme schlugen wie die Schwingen eines Vogels. Bei den Dornbüschen blieb er stehen, beschrieb mit der Hand einen Bogen darüber hinweg und ließ dann die Arme mit der Geste der Unkenntnis fallen. Tuami sprach in schnellen Worten mit dem Alten. Lok sah ihn am Feuer knien, ein Stück Boden freimachen und mit einem Stock Striche ziehen. Kein Anzeichen deutete auf Liku hin, und die dicke Frau saß in einem der hohlen Stämme mit dem Jungen auf der Schulter.
Lok ließ sich hinabgleiten, fand Fas Fährte wieder und folgte ihr eilends. Ihre Schritte waren voller Angst, so daß sich ihm das Haar vor Mitempfinden sträubte. Er kam an die Stelle, wo die Verfolger stehengeblieben waren, und er sah, wie einer von ihnen so lange zur Seite ausgeschaut hatte, bis seine zehlosen Füße tiefe Abdrücke hinterließen. Er sah die Spanne zwischen den Schritten, wo Fa einen Sprung gemacht hatte, und dann ihr Blut, das reichlich rann und in unregelmäßigem Bogen vom Wald weg zum Sumpf hinführte, wo der Baumstamm nicht mehr dagewesen war am Tag ihrer Heimkehr ins Sommerland. Er folgte ihr in ein Dornendickicht hinein, das die Verfolger aufgerissen hatten. Er drang weiter vor als sie, der Dornen nicht achtend, die sein Fell aufschlitzten. Er sah, wo Fas Füße gleich den seinen schrecklich tief in den Schlamm getaucht waren und eine Mulde hinterlassen hatten, die sich jetzt wieder mit Brackwasser füllte. Die Oberfläche des Bruchs vor ihm lag glatt und drohend da. Keine Blasen stiegen mehr vom Boden hoch, und brauner Morast, der vielleicht aufgewirbelt worden war und sich unter dem Spiegel des Wasser zusammengekringelt hatte, war wieder hinabgesunken, als wäre nichts geschehen. Sogar der Schaum und der Tang und die Laichschwaden waren zurückgeströmt und ruhten reglos im toten Wasser unter den schmutzigen Zweigen. So weit gingen die Schritte und die Blutspur; hier noch war der Geruch von Fa und ihrer Angst; dort hörte er auf, und danach kam – nichts.
X
Das düstere Licht hellte sich auf, wurde silbern, und das schwarze Sumpfwasser erglänzte. Ein Vogel schrie zwischen den Inseln aus Schilf und Heide. Fernab röhrte der Hirsch der Hirsche einmal, zweimal. Der Schlamm um Loks Knöchel wurde zäh und wollte ihm die Füße wegziehen, so daß er sich mit den Armen im Gleichgewicht halten mußte. Eine große Verwunderung war in seinem Kopf, und unter dieser Verwunderung ein dumpfer, großer Hunger, der unerklärlicherweise auch das Herz einbegriff. Selbsttätig witterte seine Nase nach Nahrung, und seine Augen gingen nach links und nach rechts und durchforschten den Sumpf und die Wildnis des Gestrüpps. Er taumelte, beugte die Zehen und zog die Füße aus dem Schlamm und schwankte auf das feste Land zu. Die Luft war warm, und kleines Gefliege sang mit dem hohen Ton, der in den Ohren war nach einem Schlag auf den Kopf. Lok schüttelte sich, doch der hohe Ton blieb, und das Gefühl der Schwere lastete auf seinem Herzen.
Wo die Bäume begannen, waren Knollen mit grünen Spitzen, die gerade aus dem Boden lugten. Diese drehte er mit dem Fuß ab, gab sie der Hand weiter und steckte sie in den
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