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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Golding
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Geruch, der so machtvoll war, daß seine Vorstellung ihn als ein Glühen oder eine Wolke sah, ein Glühen, das die Ränder der runden Öffnung verbrennen mußte, oder eine Wolke, die schwer darüberhing. Der Geruch war wie die neuen Gefährten: er stieß ab und zog an, schreckte und lockte, er war wie die dicke Frau und der schreckliche Hirsch und der Alte zugleich. Lok mußte so sehr an den Hirsch denken, daß er sich erneut niederkauerte; aber er konnte sich weder erinnern, wo der Hirsch hingegangen noch wo er hergekommen war; er wußte nur, daß er sich unter dem toten Baum heraus der Lichtung genähert hatte. Er wandte sich um, blickte auf und sah den toten Baum mit seinem Efeu, breit, struppig und aus den Wolken herabgebeugt wie ein Höhlenbär. Da kroch er schnell an die Höhle zur Linken heran. Der Wächter drüben bei den Dornbüschen ächzte wieder.
    Lok roch sich an den schrägen Ästen der Höhlenrückwand entlang und fand einen Mann und einen Mann und noch einen Mann. Liku roch er nicht, er hatte lediglich eine Art allgemeinen Geruchs von ihr in der Nase, der so schwach war, daß er nur eine Vorstellung sein mochte, die sich mit ihr verband. Wo immer er auf dem Boden umherwitterte, bestand die schwache Vorstellung fort, die jedoch keine Spur ergab, welche er hätte verfolgen können. Er wurde mutiger. Er ließ das ziellose Umherschnüffeln sein und näherte sich dem Eingang der Höhle. Zuerst hatten die Neuen zwei Stöcke aufgestellt und oben einen weiteren langen Stock darübergelegt. Dann hatten sie zahllose Äste an die langen Stöcke angelehnt, daß sie Blätternischen auf der Lichtung bildeten. Drei davon gab es, eine zur Linken, eine zur Rechten und eine zwischen dem Feuer und den Dornbüschen, wo der Wächter war. Die abgeschlagenen Enden der Äste waren in gekrümmter Linie in die Erde gestemmt worden. Lok kroch diese Krümmung entlang und streckte vorsichtig den Kopf herum. Die Geräusche des Atmens und Schnarchens, die die darin liegenden Gestalten machten, waren regelmäßig und laut. Die vorderste schlief keine Armlänge weit von Loks Gesicht entfernt. Die Gestalt grunzte, rülpste, drehte sich um, und ein Arm schwang durch die Luft, daß eine Handfläche Loks Backe streifte. Er fuhr erbebend zurück, beugte sich dann vor und roch an der Hand. Sie war bleich, glänzte ein wenig hilflos und unschuldig wie Mals Hand. Aber sie war schmaler und länger und von anderer Farbe in ihrer schwammigen Weiße. Zwischen dem Arm und der Linie, wo die Enden der Äste in den Boden schrägten, war ein enger Zwischenraum. Das so beklemmend gegenwärtige und doch so verborgene Bild von Liku trieb ihn weiter. Er wußte nicht, was dieses Gefühl von ihm forderte, aber er wußte, daß er nicht untätig sein durfte. Er begann seinen Körper langsam in den engen Zwischenraum hineinzuziehen wie eine Schlange, die sich in ein Loch gleiten läßt. Er spürte Atem auf dem Gesicht und erstarrte. Da erkannte er das Gesicht eines der neuen Gefährten keine Handlang vor dem seinen. Er fühlte das seltsame Haar kitzeln, sah die lange, unnütze, knochige Schädelwand, die den Kopf über die Augenbrauen hinaus nach oben fortsetzte. Er sah den schwachen Glanz eines Auges unter einem Lid, das nicht fest geschlossen war, die regelmäßigen Wolfszähne, fühlte den honigsauren Atem über seine Wange strömen. Der innere Lok sah gemeinsam mit Fa ein Bild von der Angst, aber der äußere Lok war mutig entschlossen und zitterte nicht.
    Lok reichte mit dem Arm über den Schlafenden und fühlte freien Raum und dann Laub und Erde auf der anderen Seite. Er stützte seine Handfläche fest auf die freie Stelle und wollte sich Hand über Fuß über den Schläfer hinwegstemmen. Da begann der Mann zu sprechen. Die Worte waren tief in seiner Kehle, als habe er keine Zunge, und sie liefen seinem Atem zuwider. Seine Brust hob und senkte sich rasch. Lok schwang seinen Arm zurück und kauerte sich wieder hin. Der Mann warf sich auf den Blättern herum; seine geballte Faust schlug einen Funkenregen aus Loks Auge. Lok fuhr zurück, und der Mann lag gewölbt da, daß sein Bauch höher war als sein Kopf. Dabei quälte er sich unablässig mit den zungenlosen Worten, und seine Arme stießen in die schrägen Äste. Jetzt kehrte er Lok das Gesicht zu, und Lok sah, daß seine Augen weit aufgerissen ins Leere starrten und sich mitsamt dem Kopf drehten wie die Augen der Alten im Wasser. Sie blickten durch ihn hindurch, und Furcht zog ihm das Fell zusammen.

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