Die Erben
hörte Fas Fell die alte Rinde entlangreiben, als sie sich hinabließ. Das Bewußtsein plötzlicher Gefahr überfiel ihn; das Wissen, daß sie im Begriff waren, die fremden Gefährten zu überlisten und all ihr undurchschaubares Tun; das schreckliche Wissen, daß Fa jetzt auf sie zukroch, packte ihn an der Gurgel, daß er nicht atmen konnte, und sein Herz begann ihn zu schütteln. Er krallte die Hände in das morsche Holz, kauerte sich mit geschlossenen Augen hinter dem Efeu nieder und sehnte, ohne es zu wissen jene Stunde herbei, da sie sich in dem toten Baum noch ziemlich geborgen gefühlt hatten. Fas Geruch stieg von der feuerwärtigen Seite des Baumes zu ihm auf, und er sah mit ihr gemeinsam das Bild eines großen Bären im Eingang einer Höhle. Da stieg der Geruch nicht mehr auf, das Bild verschwand, und er wußte, daß sie nur noch Augen und Ohren und Nase war und sich lautlos an die Höhle beim Feuer anschlich. Sein Herzschlag und sein Atem gingen langsamer, so daß er wieder auf die Lichtung sehen konnte. Der Mond schob sich über den Rand einer dicken Wolke und goß graublaues Licht auf den Wald. Er sah Fa, flach niedergestreckt vor dieser plötzlichen Helle, nur zwei Körperlängen von dem dunklen Feuerhügel entfernt am Boden liegen. Der Wolke folgte eine zweite, und die Lichtung versank wieder in Finsternis. Drüben bei den Dornbüschen, die den alten Steig der Gefährten versperrten, hörte er den Wächter würgen und hochtaumeln. Dann kam das Geräusch des Sichübergebens und darauf ein langanhaltendes Stöhnen. Gefühle vermengten sich in Lok. Einerseits hatte er die blasse Vorstellung, daß die Neuen sich unvermutet zeigen könnten, wie sie waren: daß sie aufstünden, sprächen und wachsam wären und unendlich wissend und sicher in ihrer Stärke. In dieses Bild hinein schob sich das andere von Fa, wie sie nicht wagte, als erste über den Stamm beim Wasserfall zu gehen; und jenes Gefühl der Wärme und des drängenden Verlangens, bei ihr zu sein, war Teil davon. Er wurde unruhig im Efeuhorst, fuhr mit den Armen durch die Blätter auf der Flußseite und tastete nach den Adersträngen auf dem Stamm. Er ließ sich hinabgleiten, ehe die Gefühle Zeit hatten, sich zu wandeln und einen fügsamen Lok aus ihm zu machen; er stand im hohen Gras am Fuße des Baums. Jetzt erfüllte ihn ganz der Gedanke an Liku, und er kroch um den Baum herum und suchte herauszufinden, welche Höhle sie barg. Fa glitt auf die Laubhöhle rechts vom Feuer zu. Lok schlich nach links und kroch auf allen vieren der Höhle entgegen, die hinter den Stämmen und dem Haufen seltsamer Bündel erstanden war. Die hohlen Stämme lagen da, wo die Neuen sie hatten liegen lassen, als ob sie ebenfalls von dem Honigtrank getrunken hätten, und aus dem ersten ragten immer noch die Füße des Alten heraus. Lok duckte sich neben dem Stamm nieder und schnüffelte vorsichtig an dem Fuß, der über ihm herabhing. Er hatte keine Zehen, oder vielmehr – jetzt da er so nahe war, konnte er es erkennen – er war mit Balg umhüllt wie die Hüften der Neuen, und er roch stark nach Kuh und Schweiß. Lok hob die Augen und blickte über den Rand des Stammes. Der Alte lag längelang darin, sein Mund stand offen, und er schnarchte durch seine schmale, spitze Nase. Lok sträubten sich die Haare auf dem Fell, und er kauerte sich nieder, als hätten die Augen des Alten offengestanden. Er bückte sich über die aufgewühlte Erde und das zertretene Gras neben dem Stamm, und da seine Nase den Alten jetzt in ein Bild eingeordnet hatte, roch sie über ihn hinweg, denn viele neue Mitteilungen strömten ihr zu. Die Stämme zum Beispiel hatten mit dem Meer zu tun. Das Weiß zu beiden Seiten war Meerweiß, bitteres Meerweiß, und erinnerte an Strand und endloses Heranschwellen der Wogen. Er roch den Geruch des Kiefernblutes und einer besonders zähen und feurigen Art von Schlamm, den seine Nase wohl zu unterscheiden, aber nicht zu benennen vermochte. Dann kamen die Gerüche vieler Männer und Frauen und Kinder und schließlich, verschwommen und doch mächtig, die Verbindung zahlloser Gerüche, die ihre Grenze zueinander verwischt hatten und zu einem einzigen großen Geruch ungeheuren Alters zusammengeschmolzen waren.
Lok überwand die Unruhe seines Körpers und das Sträuben der Haare und kroch an dem Stamm entlang, bis er zu den Steinen kam, die ein wenig abseits des heißen, aber lichtlosen Feuers liegengelassen worden waren. Sie bewahrten ihre eigene Witterung, einen
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