Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Stellungnahme Schwedens. Offenbar wird vermutet, dass unser Land in der Nähe von Storby ein geheimes Experiment gestartet hat, das nun aus dem Ruder läuft. Der Druck auf unsere Regierung wächst, doch diese beteuert nichts getan zu haben, was zu solch einer Katastrophe hätte führen können. In wenigen Minuten findet eine hastig einberufene Videokonferenz mehrerer Länder statt, von dem sich alle eine Klärung erhoffen. In der Zwischenzeit können wir nur weitere Warnungen aussprechen und zur Vorsicht aufrufen ...«
Weitere Warnungen, Tipps und Sicherheitsvorkehrungen folgten, doch Jonas starrte nur ungläubig auf das Radio, während sich seine Gedanken überschlugen.
Der Fimbulwinter!
Ein endloser Winter, der alle Welten befiel. Ein Winter, der dem Raknarök vorausgehen sollte, dem Untergang der Welt, wie wir sie kennen. Gerade hatte er darüber gelesen! Was, wenn dies nun tatsächlich gerade geschah?
Hatte Charlie mit ihren Weltenreisen etwas in Gang gesetzt? Würde der Sturm aufhören, wenn sie wieder zur Erde zurückkäme?
»Ich habe Decken und Kerzen gefunden!«, wurde Jonas jäh aus seinen Spekulationen gerissen. Eva kam auf ihn zu und drückte ungefragt ein Bündel in seine tätowierten Arme.
»Bring alles in den Konferenzraum! Ich besorge uns noch etwas zu essen«, sagte sie und eilte in Richtung Café.
»Ich helfe dir«, sagte der junge Mann und lief Eva hinterher. Jonas stapfte zum Konferenzraum hinüber und informierte Âsa über den Stand der Dinge. Linus blätterte währenddessen unbeirrt in seinen Magazinen.
»Kaisa ist auch in der Küche. Sie meinte wir würden bestimmt bald Hunger bekommen und sollten uns deshalb mit Vorräten eindecken bevor alles einfriert«, sagte Âsa.
Jonas, der annahm, dass es sich bei Kaisa um die ältere Dame handelte, ging quer durch den Raum und ließ Decken und Kerzen in eine Ecke fallen.
»Ich bin gleich wieder da«, murmelte er, verschwand in der Bibliothek und raffte dort alles zusammen, was er über Runen und nordische Mythologie gelesen hatte Als er in den warmen Konferenzraum zurückkehrte, waren Kaisa und Âsa gerade dabei, den Tisch zu decken. Eva stellte Kerzen auf, während der Student mit dem kleinen Radio unentwegt umher lief.
»Wir haben hier keinen Empfang. Wenn wir Nachrichten hören wollen, können wir das offenbar nur im Bibliothekssaal«, stellte er fest.
»Dann muss wohl jemand ab und an dorthin gehen. Ich übernehme das gerne. Ich muss sowieso nach dem Aggregat schauen«, sagte Jonas.
»Nein, nein«, wehrte der Student ab. »Kein Problem. Ich mache das schon.«
Jonas war sich sicher, dass der junge Mann genauso wie er selbst über die dramatischen Ereignisse ohne Verzögerungen informiert werden wollte, anstatt sie von anderen zu erfahren. Er widersprach ihm deshalb nicht, ging zum Fenster hinüber und starrte in den tobenden Sturm. Schnee und Hagelkörner türmten sich bereits einen halben Meter auf dem Vorplatz, an manchen Stellen gab es noch höhere Verwehungen.
Wo sollte dies nur hinführen?
Was konnte man dagegen tun? Was konnte er dagegen tun? Konnte sein Verdacht tatsächlich der Wahrheit entsprechen? Wie sollte er das herausbekommen? Als erstes einmal musste er unbedingt nachlesen, was die nordische Mythologie über Fimbul und Raknarök zu sagen hatte.
Vielleicht fand sich dort etwas Brauchbares.
Jonas’ Magen knurrte. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.
Kaisa fing seinen Blick auf und lachte.
»Hier! Bediene dich. Es ist genug da.« Jonas griff nach einem belegten Brot und schnappte sich eines der vielen Bücher über die nordische Mythologie.
Draußen wütete weiter der Schneesturm. Gegen dieses Unwetter war Gudrun ein schwacher Windstoß gewesen. So wie in Schweden jedes Kind den Namen Gudrun kannte, so würde die ganze Welt später den Namen dieses Sturmes niemals vergessen.
Es ahnte allerdings noch keiner, dass dieser Sturm mit dem Namen Oden in die Geschichte eingehen würde.
3. Der Schwanz der Bestla
C harlie saß im Schneidersitz auf einem umgestürzten Baumstamm und beobachtete einen Trainingskampf. Obwohl schon Mitte Blot, also etwa Anfang November, war es ungewöhnlich mild für diese Jahreszeit. Charlie schwitzte sogar, was natürlich auf ihren eigenen – soeben beendeten – Trainingskampf mit Tora zurückzuführen war.
Tora, 15 Sommer alt, mit langem, sehr dichtem, dunklem Haar, das sie für das Training zu einem dicken Zopf geflochten trug, saß neben Charlie und atmete schwer.
Weitere Kostenlose Bücher