Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
herum.
»Jetzt hör mir mal gut zu, Charlie. Du hast enormes Potenzial. Du bist zäh und ehrlich.« Charlie wich seinem Blick aus. Sie dachte an Kunar.
»Ja, ehrlich «, wiederholte Biarn. »Ehrlichkeit ist eine deiner Stärken! Hinterhältigkeit und Verrat sind dir völlig fremd! Du lernst außerdem schnell, und mutig bist du auch. Du hättest die Herausforderung, gegen Kunar zu kämpfen, nicht annehmen müssen. Genauso wenig wie die Rätsel des Orakels. Du willst Antworten und du bist bereit, dafür Risiken einzugehen. Du bist mutig.«
Charlie war unwohl zu Mute. Soviel Lob war ihr gar nicht recht. Sie versuchte, sich aus Biarns Griff zu winden. Er hielt sie aber fest.
»Ich bin mir sicher, dass Kunar all das bewusst ist. Und ich bin auch sicher, dass er dich sehr schätzt und dich respektiert. Kunar hat sich meiner Ansicht nach in etwas verrannt. Er versucht mit aller Kraft an den alten Wertvorstellungen festzuhalten, Ich hoffe wirklich, dass er möglichst bald seinen verdammten Stolz hinunterschluckt. Nur leider habe ich da so meine Zweifel. Da wäre nun auch noch Tora …«
Er schüttelte skeptisch den Kopf.
»Ich nehme an, dass Kunar auch nichts von Toras Fähigkeiten wusste?«
Es war mehr eine Äußerung als eine Frage. Ein Blick in Charlies Gesicht bestätigte ihn. Er ließ ihre Schultern endlich los. Sie schmerzten etwas.
Noch mehr blaue Flecken…
Es sollte sich zeigen, dass Biarn mit seiner Befürchtung richtig lag. Kunar zog sich vollends zurück. Er hatte seine innere Ruhe verloren, fühlte sich gekränkt und verraten, und dass er nun als einziger keine magischen Fähigkeiten besaß, machte die Situation keineswegs besser. Denn auch die Kunde von Toras Fähigkeiten drang zu ihm durch. Offensichtlich hatten einige Schwarzelfenkinder Kunars und Charlies Glimakampf beobachtet und von den erstaunlichen Ereignissen erzählt, die sich dort zugetragen hatten. Obwohl sie Magie gewöhnt waren, erlebten sie nicht alle Tage, wie sich das Tor zu Hels Reich öffnete. Auch fliegende Kampfstöcke waren offensichtlich nicht alltäglich, zumindest nicht, wenn sie einem Magier an den Kopf sausten.
Kunar hatte offenbar Schwierigkeiten, seinen Platz in dieser neuen Welt zu definieren. Er schien seine Führungsrolle in Frage zu stellen. Was Tora unbegreiflich erschien, da ihrer Meinung nach die Rolle der Frau oder auch magische Kräfte nichts mit dem grundlegenden Charakter eines Menschen zu tun hatten.
Charlie sah dies natürlich genauso, doch sie war nun nicht gerade die richtige Person, um Kunar so etwas klarzumachen. Biarn war der Ansicht, dass sein Freund allein dahinterkommen musste. Kunar würde jegliche Einmischung als weitere Kränkung auffassen und nicht als willkommene Hilfe, war er überzeugt. Charlie hatte nicht die geringste Ahnung, ob Biarn recht hatte.
Biarn reiste kurz nach diesem furchtbaren Tag nach Bilskirne, um sich dort sehen zu lassen und seinen Pflichten als Lodurs Sohn nachzukommen. Trotz der vielen Schwarzelfen im Lager fühlte sich Charlie ziemlich allein. Das erging nicht nur ihr so. Kunar kapselte sich ab und auch Tora hatte Charlie den magischen Angriff auf Kunar noch nicht ganz verziehen – obwohl sie nach ihrer eigenen, unbeabsichtigten Attacke auf Biarn begriff, wie es passiert war.
Doch Kunar war nun einmal ihr Bruder und sie hielt zu ihm – und das, obwohl sich Kunar ihrer Meinung nach seltsam verhielt. Tora war hin und hergerissen zwischen Verständnis und Ärger über sein störrisches Verhalten gegenüber Frauen und Magie. Sie hielt ihm vor, dass er ihr ganzes Leben lang größere Macht, Kraft und Erfahrungen hatte als sie – und nun nicht damit umgehen konnte, dass seine kleine Schwester ihm endlich einmal einen Schritt voraus war.
Tora war davon überzeugt, dass sich bald auch bei ihrem Bruder magische Kräfte zeigen würden. Im Gegensatz zu Kunar selbst, der offenbar gerade an allem zweifelte. So kam es, dass die drei Freunde in den nächsten Wochen umeinander herum kreisten, ohne aufeinander zuzugehen.
Charlie streifte oft durch die tiefen Wichtelwälder. Sie war auf der Suche nach weiteren, unbekannten Gewächsen mit heilender Wirkung. Abgesehen davon trainierte sie bei jeder Gelegenheit ihre magischen Fähigkeiten. Wenn es regnete, experimentierte sie mit den vielen kleinen Tropfen.
So konnte sie nun ohne Probleme Wassertropfen in der Luft zu großen, schwabbeligen Ballons sammeln. Hanna hatte einmal einen solchen Ballon auf den Kopf bekommen. Charlie
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