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Die Erben Der Flamme

Die Erben Der Flamme

Titel: Die Erben Der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Thomas
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ging von Tirons Augen aus. Lee wusste sofort, dass Tiron in jenem Augenblick gedanklich nach dem Shako des Alten griff und es betastete. Sie hatte davon gehört, es aber noch nie gesehen: Der Spürhund hatte den Bettler auf Magie geprüft. Der klapperdürre Mann mit einem Auge hörte auf zu zittern, als Tiron sich von ihm abwandte.
    »Er ist nur Dreck«, sagte er kurz angebunden. »Nehmt ihn mit. Fünfzehn Peitschenhiebe!«
    Kurz flackerten Lees Augenlider. Die Wärme in ihr brannte allmählich unerträglich heiß. Lee fixierte Tiron. Der Spürhund winkte einen Eisork herbei. Doch es war Fiannas fester Handgriff, die Lee daran hinderte, sich auf Tiron zu stürzen. Der Eisork-Wächter packte den dürren Mann und trug ihn davon. Seine Klagen wurden leiser, je mehr er sich entfernte. Lee war es, als würde jeder wehleidige Schrei des Alten eine Anklage gegen sie sein.
    »Vergiss sie nicht, Fianna.« Tirons Lächeln ließ Lee frösteln. Er drehte sich um und ging mit zwei anderen Eisorks über den Hof davon.
    »Ich muss dasselbe mir dir machen«, flüsterte Fianna, nachdem Tiron sich entfernt hatte.
    Es erschien Lee beinahe, dass die Dunkelmagierin mehr darunter leiden würde als sie selbst.
    Was stimmt nicht mit ihr? Sie ist so … nett?
    Lee erinnerte sich an das Gerede ihrer Klassenkameraden. Während der Dunkelmagier-Lehrer seinen Schülern ihre Bestimmung als Untergebene des Gottkönigs deutlich machte, lästerten viele hinter vorgehaltener Hand über die Dunkelmagier. Aber die Abneigung der Kinder war nur gespielt. Lee wusste, wie es in Wahrheit in vielen Köpfen aussah: Sie beneideten die Gesegneten und fühlten sich um eine Chance betrogen. Wenn man zwischen dem dreckigen Leben in den Slums von Ab’Nahrim und dem von der Schattenhand als Paradies gelobten Hallen der Goldenen Pyramide wählen könnte, war eindeutig, für was sich die meisten en tscheiden würden. Was bedeutete es da noch, ob man später einmal wie ein Dunkelmagier wurde? Der Schmerz in Fiannas Augen bewies Lee jedoch, dass das Leben als solcher nicht so sein konnte wie die Vorstellung der Kinder.
    »Gleich kannst du zu deiner Familie zurück«, sagte die Novizin. Ihr Lächeln hatte etwas Geisterhaftes.
    Sie jagen dich, Lee. Du musst fliehen, sie dürfen dich nicht bekommen. Lee bekam eine Gänsehaut, als Vrans Worte ihr durch den Kopf gingen.
    Fiannas schlanke Finger näherten sich ihrem Hals und dem Shako. Lee trat zurück. »Es geht schnell, keine Angst. Danach kannst du gehen«, sagte sie, wie wenn sie mit einem ängstlichen Kind sprechen würde.
    Etwas entzündete sich in Lee. Sie konnte die Hitze in ihr kaum noch zurückhalten. Aber da war noch etwas Neues. Eine fremde Kraft, die ihre Hülle zerbrechen und ihr Innerstes erreichen wollte. In Gedanken konnte sie Fiannas Aura sehen.
    »Geh weg!« Lee stieß sich ab von dem gedanklichen Griff, der sie beinahe umschlossen hatte. Funken entwichen ihren Finge rspitzen. Zu spät zog Lee ihre Hände zurück, Fianna konnte dies nicht entgangen sein.
    Ihr Blick war reines Entsetzen. »Wie kannst du das tun?«
    Als hätte er nur darauf erwartet, tauchte Tiron hinter Fianna auf. »Was war das gerade eben? Mir war, als ob … Hey, stehen bleiben! Wachen …!«
    Den Rest seiner Worte verstand Lee nicht mehr. Sie eilte über den Hof davon, quetschte sich in die enge Gasse zwischen zwei Tempeln und ging in den Rattengang, wie die Kinder des südlichen Tempelviertels den Schuttweg nannten. Geübt kletterte Lee die Fassade eines eingestürzten Tempels hinab. Obwohl sie seit einem Jahr nicht mehr hier gewesen war, waren ihr die Pfade blind vertraut.
    Irgendwo verstecken , dachte Lee und ließ sich von der schrägen Wand des Bauwerks hinab gleiten.
    Sie folgte dem schmalen Durchweg und kreischte auf, als eisige Arme durch die Wand neben ihr brachen. Aber die Pranken des Eisorks griffen ins Leere. Gekonnt war Lee ausgewichen und rannte weiter. Vor ihr befand sich eine Absenkung und ein Spalt im Boden. Ein Zwergentunnel! Dort würde sie untertauchen können. Sie ließ sich vor das Loch fallen.
    »Verschwinde!« Schmutzige Gesichter blickten zu ihr hoch, die Augen vor Entsetzen geweitet, dennoch würden die Ruinenbewohner ihr Versteck für Lee nicht in Gefahr bringen.
    Lee fluchte. Doch war ihr zum Weinen zu Mute. Als Gejagte war sie bei ihrem eigenen Volk eine Ausgestoßene. Ihr Herz schien aus der Brust springen zu wollen, als sie zum anderen Ende des eingestürzten Tempels eilte, die nächste Ecke umrundete –

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