Die Erben der Nacht 04 Dracas
Frack schneidern«, riet sie, »und vielleicht einen Gehrock zu Pantalons aus hellgrauem Tuch. Wenn du auf deine geliebten Farben nicht völlig verzichten willst, dann wähle ein dunkles Blau!«
»Wenn du meinst«, gab er nach und zupfte den neuen Frack zurecht, während Dario ihm die schmale weiße Schleife band.
Chiara trippelte zur Tür und wandte sich dann noch einmal um. »Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst?«
Luciano sah misstrauisch auf, konnte aber weder in ihrem Tonfall noch in ihrer Miene einen Hauch von Spott erkennen.
»Ich?«, vergewisserte er sich ein wenig ungläubig. Verlegen fuhr er sich durch das schwarze Haar, dass es wieder einmal nach allen Seiten abstand.
Chiara nickte mit ernster Miene. Dann trat ein schelmisches Lächeln auf ihre Lippen. »Ich freu mich jetzt schon darauf, zu sehen, wie Franz Leopold sich vor Neid windet!« Fröhlich lachend tänzelte sie hinaus.
Etwas verwirrt wandte sich Luciano an seinen Diener. »Sie übertreibt mal wieder maßlos. Jeder weiß, dass die Dracas mit verschwenderischer Schönheit gesegnet sind - zumindest, was den äußeren Schein betrifft. Über ihre Charakterzüge wollen wir hier nicht reden.« Luciano deutete mit einer Grimasse an, was er davon hielt. »Und Leo ist leider - einfach perfekt.«
»Das ist Geschmacksache«, antwortete der Schatten emotionslos, wie es sich gehörte. »Doch wenn Ihr auf meine Meinung wert legt, so muss ich Fräulein Chiara beipflichten, dass Ihr Euch sehr gewandelt habt und den Vergleich mit keinem anderen Vampir scheuen müsst. Auch nicht mit einem Dracas.«
Luciano war sprachlos. Hatte er sich wirklich so sehr verändert? Er sah an seinem schlanken Körper herab und betrachtete seine langen Fingernägel, an denen er nicht mehr, wie noch in den ersten Akademiejahren, nervös herumkaute. Luciano dachte an Ivy und spürte, wie ein Lächeln über seine Lippen huschte. Nun freute er sich noch mehr, die anderen Erben der Clans wiederzusehen und mit ihnen in einem weiteren Jahr der Akademie junger Vampire neue magische Fähigkeiten zu lernen. Auch wenn es ausgerechnet in Wien sein musste. Nicht dass er gegen diese Stadt etwas einzuwenden hatte. Nichts lag ihm ferner, als den Hass der menschlichen Bewohner Roms gegen die Habsburger und ihr Reich zu übernehmen. Es waren die Dracas, die ihm Bauchschmerzen bereiteten, wenn er nur einen von ihnen zu Gesicht bekam!
Ja, die Vampirclans hegten ihre eigenen Vorlieben und noch mehr ihre eigenen Feindschaften, die sie jahrhundertelang in unzähligen Kriegen vertieft hatten. Doch diese sollten nun der Vergangenheit angehören. Aus diesem Grund hatten sich vor vier Jahren die Clanführer der Nosferas aus Rom, der Vamalia aus Hamburg, der Lycana aus Irland, der Dracas aus Wien und der Vyrad aus London getroffen und die Akademie gegründet. Seitdem versuchten wenigstens die jungen Vampire, die alten Vorurteile zu überwinden. Was recht gut gelang, fand Luciano. Immerhin waren seine besten Freundinnen Alisa de Vamalia und Ivy de Lycana. Zugegeben, mit Franz Leopold de Dracas war das Verhältnis nicht gerade herzlich. Aber immerhin schon besser, zumindest manchmal.
Eine lange Zugfahrt lag hinter ihnen. Eingesperrt in ihre Transportkisten waren die Vampire gezwungen gewesen, Stunden über Stunden still zu liegen und nur dem Rattern der Räder auf den
Schienen zu lauschen. Das Schlimmste an dieser Art zu reisen war, dass einen dabei nichts von seinem Blutdurst ablenken konnte.
»Ich sterbe gleich vor Hunger!«, stöhnte Chiara und presste sich die Handflächen gegen ihr eng anliegendes Mieder.
»Stell dich nicht so an«, entgegnete Luciano kühl. »Du kannst nicht sterben - und schon gar nicht, weil du ein paar Stunden kein Blut bekommen hast.«
Chiara funkelte ihn an. »Danke für die Belehrung. Und das ausgerechnet aus dem Mund meines verfressenen Cousins. Oder willst du etwa behaupten, dich würde der Blutdurst nicht quälen?«
Luciano dachte kurz darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, so schlimm ist es nicht«, stellte er erstaunt fest. »Hauptsächlich freue ich mich darauf, die anderen wiederzusehen.«
»Pah, Gefühlsduselei!«, meinte sein älterer Vetter Maurizio und biss in die Ratte, die ihm sein treuer Kater Ottavio gefangen hatte. »Es geht nichts über frisches, warmes Blut!«
»Ja, das sieht man dir an«, gab Luciano zurück. Wie fett und unansehnlich Maurizio in den vergangenen Jahren geworden war. Neben der hageren Leonarda, Chiaras Servientin,
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