Die Erben der Nacht - Pyras
Vampirin spürte, wie ihre Wangen glühten.
»Ich danke Euch, mein Meister. Wie lauten Eure Befehle? Soll ich ihr weiter folgen und sie im Auge behalten?«
»Was würde das bewirken?«, wehrte er ab. »Ich kann sie noch nicht erreichen, aber sie entgeht mir nicht.«
»Dann kann ich mit Euch kommen?«, rief sie hoffnungsvoll. Wieder dieses Zucken der Augenbrauen. »Weshalb? Ich habe im Moment keine Verwendung für dich.«
Sie fühlte sich vernichtet, durch eine Handvoll Worte. »Meister!«
Er ignorierte ihr Flehen. »Kehre zurück zu den Deinen. Du solltest das Misstrauen nicht unnötig schüren.«
»Ja, ich gehorche«, versicherte sie eifrig. »Ich sorge dafür, dass niemand Verdacht schöpft. Ich halte mich bereit. Ihr braucht mich nur zu rufen, wenn Ihr meiner Hilfe bedürft. Ich freue mich darauf, Euch wieder dienen zu dürfen, und stehe für jeden Auftrag zur Verfügung …« Sie brach ab und schwieg unter seinem vernichtenden Blick.
»Geh jetzt!«
»Meister?«
Er streckte die Hand aus. Die Echse auf seinem Ring schimmerte im trüben Licht der Sterne. Die Vampirin trat einen Schritt vor und ließ sich auf ein Knie sinken. Ehrfurchtsvoll küsste sie den Ring. Die Rubinaugen brannten auf ihrer Lippe. Dann konnte sie den Abschied
nicht länger hinauszögern. Von der Last des Augenblicks niedergedrückt, erhob sie sich schwerfällig. Es gelang ihr, einen letzten Blick auf die machtvolle, dunkle Gestalt zu erhaschen, dann verschwand er. Nur ein Hauch von Nebel blieb zurück, den der Nachtwind verwehte. Die Vampirin stand alleine auf dem nächtlichen Feld, über dem sich der Schatten eines halb zerfallenen Turmes erhob.
ABSCHIED VON DER INSEL
Es ging auf Mitternacht zu. Der Mond hielt sich beharrlich hinter dichten Wolken versteckt. Nur ein paar vereinzelte Sterne sandten ihr Licht herab, wenn der stürmische Wind die Wolkendecke für einige Augenblicke zerriss. Dann umschmeichelte der Sternenglanz eine einsame Gestalt auf den schwarzen Klippen, die weit vorragten, um dann schroff in die schäumende Gischt abzubrechen. Es war die Gestalt eines jungen Mädchens, dessen Haar das silberne Licht widerspiegelte. Seit Stunden saß sie nun schon so da, den Blick auf das aufgewühlte Meer gerichtet. Sie schien so tief in Gedanken versunken, dass sie nichts um sich herum wahrnahm. Auch nicht den hellen Schatten, der sich auf vier Pfoten und im Wolfspelz über die Landzunge näherte. Zumindest regte sie sich nicht, als der Jäger neben sie trat. Er ließ sich auf den Hinterpfoten nieder. Das Mädchen schwieg noch immer.
»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte sie endlich.
Es gibt immer Neuigkeiten, ertönte die Stimme des Wolfs in ihrem Bewusstsein. Die Zeit fließt und die Erde ist einem ständigen Wandel unterworfen. Schicksale und Ereignisse werfen ihre Schatten und geschehen.
Das Mädchen stieß einen ärgerlichen Laut aus. »Seymour, du weißt genau, was ich meine! Gibt es Neuigkeiten vom Festland? Von der Versammlung der Clans?«
Der Wolf schien sich an ihrer Ungeduld zu weiden. Er legte sich an ihre Seite und leckte sich ausgiebig die Vorderpfoten, ehe er erwähnte, dass ein Falke mit einer Botschaft eingetroffen sei.
»Was? Warum sagst du das nicht gleich?« Ivy sprang auf die Füße. »Weißt du, wie sie lautet?«
Gewiss.
»Ja, und? Willst du es mir nicht sagen?«
Der Wolf öffnete das Maul und ließ die Zunge heraushängen.
Es sah aus, als würde er lachen. Ach, kleine Schwester, lass mich diesen Moment noch ein wenig auskosten. Untersteh dich, mir einen Tritt zu verpassen. Ich werde dich beißen!, drohte er.
Ivy seufzte und ließ sich wieder neben ihn auf einen schwarzen Steinbrocken sinken. »Du verstehst mich nicht mehr. Wir waren uns doch stets so nah. Was ist nur geschehen?«
An mir liegt es nicht! Ich habe mich nicht geändert. Du benimmst dich plötzlich wie ein liebeskrankes Jungmädchen.
»Ich bin ein junges Mädchen - wenn auch nicht liebeskrank.« Das Bild eines Vampirs mit dunklem Haar und edlen Gesichtszügen, so schön, dass sein Anblick wehtat, stieg in ihr auf. Franz Leopold de Dracas.
Nicht liebeskrank?, spottete Seymour bitter.
»Nein«, bestätigte Ivy ernst. »Nur eine vorübergehende Verwirrung der Gefühle. Er ist ein Freund, ein guter, sehr geschätzter Freund, der mir nahesteht und dem ich vertraue, so wie Alisa und Luciano auch. Und was das junge Mädchen betrifft. Ich bin ein junges Mädchen, das sich auf ein weiteres Jahr gemeinsamer Ausbildung mit den Erben der anderen Clans
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