Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
dann machte er vorsichtig den zweiten Schritt ins Innere der Templerkirche. Hinter ihm fiel die Pforte mit einem Krachen ins Schloss.
Draculas Blick war noch immer ein wenig ungläubig auf seine Füße gerichtet, dann hob er die Lider und sah Ivy in einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Genugtuung an. Natürlich spürte er die Macht der alten Kirchenkräfte um sich, doch solange seine Füße auf der verfluchten Erde seiner Heimat standen, konnten sie ihm nichts anhaben.
» Euer Plan scheint aufzugehen«, sagte Ivy sanft. Sollte er ruhig weiter glauben, er habe diese Idee geboren und der Lycana Anweisungen zur Ausführung erteilt. Je später er seinen Fehler erkennen würde, desto besser.
Langsam durchschritt Dracula das runde Kirchenschiff. Er genoss den Moment des Triumphes und ließ den Blick aufmerksam schweifen. Jedes Detail nahm er in sich auf: Die steinernen Fratzen an den Kapitellen der Halbsäulen, die Grabplatten der Tempelritter mit ihren gekreuzten Beinen, das kunstvolle Gewölbe, das sich im Rund der kleineren Kuppel fortsetzte.
Ivy wartete ruhig und mit unbeweglicher Miene. Sie stand einen Schritt hinter der Grabplatte, den steinernen Altar im Rücken. Auf ihrer Brust pulsierte– für Dracula unsichtbar– der wertvolle Kristall, den er so sehr begehrte.
Als der Erdpfad vor der Grabplatte endete, blieb Dracula stehen. Er sah auf die einfache Inschrift hinab.
Erzsébet
Langsam ließ er sich auf die Knie sinken und wollte mit der Handfläche über die Platte streichen, doch es gelang ihm nicht, den Stein zu berühren. Er gehörte zum Kirchenboden und war damit ein Teil des geheiligten Altarraums. Dracula reckte sich ein wenig und versuchte es noch einmal.
Der Schmerz fuhr wie ein Blitz von seiner Handfläche durch seinen ganzen Körper. Dracula zuckte zurück. Es sah Ivy an. Sie nickte.
» Ja, Ihr könnt die Platte selbst nicht anheben. Nun seid Ihr so nah an Euer Ziel herangekommen, und doch seid Ihr noch immer von Erzsébets sterblichen Überresten getrennt, als würdet Ihr noch auf Eurer Festung in den Karpaten weilen.«
» Dann musst du die Platte entfernen. Versuche nicht, dich mir zu widersetzen. Du weißt, dass ich über die Kraft verfüge, dich zu zwingen.«
Ivy hielt Draculas Blick stand. » Möglich«, sagte sie kühl, obgleich sie sich sicher war, dass er hier im Innern des Chores der Templerkirche seine Kräfte nicht genug entfalten konnte, um ihr ernsthafte Schmerzen zuzufügen, geschweige denn, ihren Geist zu unterwerfen und ihren Körper zu zwingen, irgendetwas zu tun, was sie nicht wollte.
Wusste er das nicht? Versuchte er zu bluffen?
Ivy beschloss, das Spiel so lange wie möglich weiterzutreiben. Sie holte die beiden Metallhaken hinter dem Altar hervor und befestigte sie in den Löchern zu beiden Seiten.
» Was werdet Ihr tun, wenn Ihr Erzsébets Überreste gleich in Euren Händen halten werdet?«, fragte Ivy scheinbar beiläufig, während ihr Blick auf der Steinplatte zu ihren Füßen verharrte.
» Ich werde ihr mit Hilfe des Kristalls noch einmal Leben einhauchen. Sie wird in ihrem alten Körper auferstehen und wieder die Jägerin der Nacht an meiner Seite sein.«
Ivy hob den Blick und sah das Funkeln in seinen Augen. » Und dann werdet Ihr mit Eurer Gefährtin nach Poienari zurückkehren«, sagte sie fast beschwörend.
Sein Blick verlor den träumerischen Glanz und wurde hart.
» Ja, das werden wir, und du wirst mit uns kommen.«
» Wozu?«, erkundigte sich Ivy, obwohl sie die Antwort bereits in seinen Gedanken gelesen hatte.
» Weil ich dich brauche, hast du das schon vergessen? Mit deinem magischen Blut werde ich Nachkommen von ungeahnter Stärke zeugen.«
» Um Eure Kinder zu vernichten?«
Seine Miene verfinsterte sich. » Sie haben sich von mir losgesagt und müssen dafür bestraft werden, wie du weißt.«
» Vernichtet«, präzisierte Ivy.
» Ja, vernichtet«, wiederholte Dracula mit einer ungeduldigen Handbewegung.
Ivy nickte und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Grabplatte zu ihren Füßen. Da stand die Vampirin im Körper einer Dreizehnjährigen, die beiden Eisenhaken in der Hand, die tonnenschwere Platte zu ihren Füßen. Sie musste die Arme weit ausstrecken, um beide Enden greifen zu können. Es schien unmöglich, dass diese dünnen Arme den Stein auch nur bewegen könnten, geschweige denn, ihn aus seiner Einfassung im Boden heben. Auch Dracula überkamen Zweifel, obgleich er Ivys wahres Alter kannte. Ihre Muskeln spannten sich an, dann
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