Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
das verschwundene Mädchen, Clarissa de Todesco.«
» Clarissa de Nosferas«, korrigierte sie und reichte ihm mit einem Lächeln die Hand.
» Einer der Vampire aus Rom hat Sie gewandelt?«, erkundigte sich van Helsing neugierig.
Das Mädchen nickte. » Ich bin Luciano de Nosferas’ Gefährtin.«
Bram erinnerte sich an den schwarzhaarigen Vampir mit dem freundlichen Gesicht, der in den Karpaten so entschlossen für Ivys Freiheit gekämpft hatte.
Er sah lieber nicht zu Latona hinüber, denn er wusste, was er in ihrer Miene lesen würde. Warum soll ich nicht dasselbe tun wie sie?
Es gab viele mögliche Antworten, doch dies war nicht der rechte Ort und noch weniger die Zeit, solche Dinge zu besprechen.
Clarissa neigte das Haupt. » Wenn ich die Herren jetzt bitten dürfte, mir zu folgen. Wir werden einen kleinen Umweg gehen und nicht das Torhaus von der Fleet Street her nehmen.«
Bram wollte gerade fragen, warum, als van Helsing zustimmend nickte. » Natürlich. Wir wollen ja keine Fährte zurücklassen, die Dracula bei seinem Eintreffen wiedererkennt. Es würde ihn unnötig misstrauisch stimmen.«
Bram ärgerte sich ein wenig, dass er nicht selbst darauf gekommen war. Es gab für ihn wohl noch viel zu lernen, dachte er, als er schweigend neben Latona herlief.
Lernen? Was? Wie ein Vampirjäger zu denken oder gar wie einer zu kämpfen? Wollte er das etwa? Nein! Diese Nacht noch, dann würde alles vorbei sein und sein Leben wieder in seine alten Bahnen zurückkehren. Ohne lebensgefährliche Jagden auf Vampire, ohne das fiebrige Herzklopfen, das auf eine neue Begegnung mit Ivy hoffen ließ. Alles würde gut sein. Ruhig und sicher, wie früher. Da war nur noch die Sache mit Latona– die würde er noch in Ordnung bringen müssen. Aber das hatte Zeit bis morgen.
Bram sah von Latona zu van Helsing, der, den Stockdegen an der Seite und eine Tasche mit allerlei nützlichen Dingen über der Schulter, neben der jungen Vampirin Clarissa herging und sie über den Stand der Vorbereitungen ausfragte. Bram glaubte das elektrische Zittern der Luft spüren zu können, das manches Mal großen Ereignissen vorausgeht. Wie dieser Moment, ehe ein Blitz herniederfährt, wenn bereits die Ahnung einem die Haare zu Berge stehen lässt und ein Kribbeln durch den ganzen Leib jagt. Und plötzlich war sich Bram nicht mehr sicher, ob er in seine ahnungslose Zeit zurückkehren wollte.
Clarissa blieb stehen und öffnete ein Tor, das den Blick auf eine düstere Gasse freigab.
» Kommen Sie!«, forderte sie die Männer auf. Sie führte ihre Begleiter durch die Gasse, die sich nach einer Biegung zu einem abgewinkelten Hof öffnete. Sie hörten das Plätschern eines Brunnens und entdeckten kurz darauf das steinerne Becken mit der Fontäne, von einem rechteckigen Stück Rasen und einem schmiedeeisernen Zaun umgeben.
» Das ist der Fountain Court des Middle Temple«, erklärte Clarissa leise. Das Gebäude links vor uns ist die Middle Temple Hall, die Treppe davor führt in die Gärten hinunter.«
» Und die Kirche? Wo ist die Templerkirche?«, erkundigte sich van Helsing, der sich aufmerksam umsah. Vermutlich prägte er sich alle Einzelheiten ein, um einen taktischen Vorteil zu finden oder einen sicheren Fluchtweg auszukundschaften.
» Die Kirche liegt östlich von hier. Man muss die Middle Temple Lane dort hinter dem Hof überqueren, dann unter dem Bogen durch und über den Pump Court. Das Gewölbe des hinteren Flügels führt direkt auf den Kirchhof.«
Van Helsing nickte und runzelte dann ganz in Gedanken die Stirn, während sie den Hof mit dem Brunnen passierten.
Es war seltsam ruhig und verlassen hier. Bram ließ den Blick schweifen, konnte aber weder einen Menschen noch einen Vampir entdecken. Er hätte geglaubt, hier auf unzählige Vyrad zu treffen.
» Wo sind sie denn alle? Auf der Jagd?«
Clarissa nickte. » Ja, wenn auch nicht so, wie Sie es vermutlich meinten. Die Vyrad jagen heute Nacht den Mörder von Whitechapel.«
» Jack the Ripper? Ich habe den Brief gelesen, den sie in der Zeitung abgedruckt haben«, mischte sich van Helsing ein. » Aber ist er wirklich von dem Frauenmörder verfasst?«
Clarissa hob die Schultern und lächelte ein wenig verlegen. » Ich fürchte nicht. Eines von Ivys Ablenkungsmanövern, um die Vyrad wegzulocken und Dracula in Sicherheit zu wiegen.«
Van Helsing nickte anerkennend. » Ein kluger Schachzug, das muss ich sagen. Wenn all ihre Vorbereitungen so durchdacht sind, dann sind wir heute Nacht
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