Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
leise. Erst jetzt unterbrach Malcolm seinen Vortrag und griff nach ihrem Arm.
» Ist dir nicht gut? Du trinkst ja gar nichts«, bemerkte der Vyrad, der schon den dritten Becher mit Rinderblut leerte, obgleich er jetzt auch Menschen beißen durfte.
» Ich habe keinen Appetit«, gab Alisa schroff zurück, schob ihren Stuhl nach hinten und eilte aus dem Saal.
*
Es war dunkel um sie herum und still. Alisa lag auf dem Rücken, die Arme um den Leib geschlungen, als wäre ihr kalt. Tatsächlich hatte sie das Gefühl, ihr Inneres sei zu Eis erstarrt. Vielleicht fühlte es sich so an, wenn ein Mensch langsam starb. Dann war die Qual wenigstens irgendwann zu Ende. Sie als Vampir jedoch konnte nicht einfach sterben. Zumindest nicht auf diese Weise.
Auch wenn sie keine Schritte hörte, wusste sie, dass jemand die Treppe heraufkam. Ohne anzuklopfen, trat er in ihr Zimmer, schloss die Tür hinter sich und blieb vor ihrem Sarg stehen. Der Deckel öffnete sich mit einem leisen Knarren. Alisa regte sich nicht.
» Ich glaube nicht, dass es in deiner Macht steht, vorzeitig in die Tagesstarre zu verfallen. Daher würde ich vorschlagen, du öffnest jetzt die Augen, solange wir uns unterhalten. Das würde zumindest die Höflichkeit gebieten.« Hindriks Stimme schwankte zwischen amüsiert und besorgt.
» Ich unterhalte mich ja gar nicht mit dir«, widersprach Alisa, schlug aber dennoch die Augen auf. » Was willst du?«, fügte sie ungnädig hinzu.
» Dir einen Vorschlag unterbreiten.« Er ließ sich vor ihrem Sarg im Schneidersitz nieder.
» Was für einen Vorschlag?«, erkundigte sich Alisa misstrauisch.
» Wir sind uns vielleicht darüber einig, dass du nicht bis zum Ende des Akademiejahres hier in deinem Sarg liegen bleiben kannst.«
Alisa schnaubte abfällig. Diese lächerliche Bemerkung verdiente keinen Kommentar.
Hindrik schien auch keinen zu erwarten, denn er fuhr fort: » Und ich vermute, dass du es dir nicht entgehen lassen willst, von den Vyrad zu lernen. Sie sollen ganz außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt haben!«
Nun konnte sie sich doch nicht zurückhalten. » Natürlich will ich hier in London so viel lernen wie möglich.«
» Gut, dann würde ich vorschlagen, dass du dich jetzt aus deinem Sarg erhebst und dich den anderen Erben anschließt, die sich zu der von Lady Margaret angekündigten Führung durch den Temple im Hof versammeln. Nachdem du schon das Blut, das die Vyrad extra für euch besorgt haben, verschmäht hast, wäre es unhöflich, auch noch dem Rundgang fernzubleiben.«
Natürlich hatte Hindrik recht, dennoch rang Alisa mit sich.
» Du kannst ihm nicht ewig aus dem Weg gehen«, fügte Hindrik sanft hinzu. » Sprich mit ihm. Es gibt für alles eine Erklärung.«
» Pah!« Mit einem Ruck setzte sich Alisa auf. » Hast du gesehen, wie er mich angeschaut hat? Als wäre ich irgendetwas besonders Widerliches!«
Hindrik nickte. » Gerade deshalb musst du mit ihm reden.«
Alisa sprang aus dem Sarg. » Niemals! Damit er es auch noch laut ausspricht? Nein, das tue ich mir nicht an.«
Hindrik erhob sich ebenfalls und sah an ihr herunter. Ihr Kleid war nun verknittert, ihre Frisur zerzaust.
» Soll ich Bergit holen, dass sie dir das Haar noch einmal frisch aufsteckt?«
Alisa hob die Schultern und ließ sie dann wieder fallen. » Wozu?«, fragte sie mit so tieftrauriger Stimme, dass Hindrik zusammenzuckte. Mit schleppenden Schritten verließ sie das Zimmer und stieg die Treppe hinunter. Hindrik folgte ihr mit besorgter Miene.
Begegnung in Clontarf
Bram Stoker klappte den Deckel seines Koffers zu und zog die beiden Lederriemen fest. Er war zur Abfahrt bereit. Nun musste er sich nur noch verabschieden und eine Droschke rufen, die ihn zum Hafen von Dublin bringen würde, und schon morgen war er wieder daheim in London bei Florence und seinem kleinen Irving Noel, der seit einigen Monaten auf seinen kurzen, dicken Beinchen rege unterwegs war, immer irgendwelche Flausen im Kopf, und seine Mutter ganz schön auf Trab hielt.
Bis vor zwei Wochen hatte noch ein viertes Mitglied der Familie das Londoner Domizil in St. Leonard’s Terrace geteilt– abgesehen von ihrem Hausmädchen, das Bram nicht zur Familie rechnete. Er hatte allerdings den Verdacht, dass sich Florence noch immer weigerte, Latona als Familienmitglied anzusehen, obgleich sie sich sichtlich Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. Und dennoch hatte sie ihre Erleichterung nicht verbergen können, als Bram mit dem Vorschlag kam, Latona
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