Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
fiel nichts ein, was sie hätte sagen sollen. Sogar ihre Begrüßung blieb ihr im Hals stecken.
Zum Glück trat nun eine Vyrad in die Halle und erlöste Alisa aus der beklemmenden Situation. Sie war groß und knochig, ihr modisch aufgestecktes Haar fast weiß. Das Kleid, das sie trug, war schlicht gehalten, doch von vorzüglichem Schnitt. Sie strahlte eine feine Würde aus, die Alisa beeindruckte.
» Hochgeschätzte Erben aller Clans, herzlich Willkommen im Londoner Temple, dem Domizil der Vyrad. Mein Name ist Lady Margaret. Verzeiht, dass wir euch warten ließen.« Sie sprach in klarem Englisch, und Alisa hatte zu ihrer Freude keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Vielleicht war es doch eine gute Idee gewesen, die Sprache des Landes schon im Voraus zu lernen. Ob allerdings alle Erben die Aufforderung so ernst genommen hatten wie die Vamalia, wagte Alisa zu bezweifeln. Auf Joannes Stirn erschien eine steile Falte, während die Dracas nicht zuzuhören schienen. Allerdings wusste Alisa nicht zu sagen, ob sie die Lady nicht verstanden oder lediglich keine Lust hatten, ihr zuzuhören.
» Lord Milton hatte vor, euch selbst zu begrüßen und euch ein wenig über den Ablauf des Jahres zu erzählen, das euch hier erwartet. Nun ist er leider verhindert und die nächsten Stunden, womöglich bis zum Morgen, mit einem wichtigen Fall beschäftigt. Daher übernehme ich es, euch und eure Begleiter willkommen zu heißen. Einige unserer Servienten werden euch gleich frisches Blut servieren, das sie eben vom großen Schlachthof in Smithfield besorgt haben. Setzt euch und trinkt, soviel ihr möchtet. Der vordere Teil der Tafel hier drüben zur Gartenseite wird, solange ihr hier seid, der eure sein. Eure Begleiter können hier hinten Platz nehmen. Wenn ihr fertig seid, treffen wir uns draußen im Hof, und ich werde euch mit dem Temple vertraut machen.«
Luciano stieß Alisa an und flüsterte ihr zu: » Was für ein Fall? Ich verstehe gar nichts. Was sie damit wohl meint?«
Alisa hob die Schultern. » Keine Ahnung«, gab sie zurück. In jeder anderen Nacht wäre sie durch die Worte neugierig geworden und hätte sich Gedanken darüber gemacht, von was für einem Fall die Vyrad reden konnte. Doch heute war sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Da traten auch schon die Servienten in ihren Livreen ein, silberne Tabletts mit vollen Bechern in den Händen.
» Ah, endlich Blut!«, rief Tammo und klatschte in die Hände. Er stürmte, die Pyras im Schlepptau, zu den nächsten Stühlen und griff sich gleich zwei Becher von dem ihm dargebotenen Tablett. Die anderen Erben folgten ihnen etwas gesitteter. Sören setzte sich neben Chiara, Luciano schob Clarissa auf den Stuhl neben sich, obgleich sich die anderen Servienten am unteren Teil der Tafel zur Tür hin versammelten. Franz Leopold schob sich den Stuhl neben Luciano zurück. Gewohnheitsgemäß wollte sich Alisa neben ihn setzen, als sie ein solch kühler Blick traf, dass sie innehielt. Unentschlossen starrte sie den leeren Platz an.
» Alisa, komm, setz dich zu mir«, rief Malcolm und deutete einladend auf den Stuhl an seiner Seite. Noch immer sah Leo die Vamalia voller Verachtung, ja fast schon mit Abscheu an. Nein, sie würde nicht einen einzigen Schluck neben ihm herunterbekommen, solange er in dieser Stimmung war.
Wie in Trance umrundete Alisa die Tafel und ließ sich neben Malcolm sinken. Er schob ihr einen vollen Becher mit noch warmem Blut hin, doch ihr war der Durst vergangen. Alles, was sie empfand, war eine tiefe Traurigkeit und Leere. Dabei hatte sie sich noch mehr als sonst auf das neue Akademiejahr gefreut und der Abreise nach London entgegengefiebert. Was war nur falsch gelaufen?
Was falsch gelaufen ist? Denk mal darüber nach, du naives kleines Mädchen! Du hast dich in den schönsten Vampir Europas verliebt, und er hat sich herabgelassen, dir für eine Weile seine Aufmerksamkeit zu schenken. Es hat ihn gefreut, dich zu unterrichten und mit dir Walzer zu tanzen, aber nun ist der Reiz des Neuen vergangen. Ihm ist langweilig und er ist deiner überdrüssig geworden. Wie schnell hat er sich damals Ivys entledigt, obwohl er auch mit ihr heiße Küsse getauscht hat?
Nein, das war etwas anderes gewesen. Er hatte ihr ihre Notlüge zu sehr übelgenommen. Sie war eine Unreine und für einen Dracas damit ein Vampir zweiter Klasse, der nur als Diener taugte.
Aber warum dann? Eine andere Vampirin? Alisa konnte hier im Saal keine entdecken, der er mehr als üblich
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