Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
durcheinander. Lord Milton schien für den Augenblick mit seinen Erklärungen am Ende zu sein, denn er setzte sich auf seinen prächtigen, hochlehnigen Sessel, verschränkte die Hände vor dem Bauch und ließ den Blick mit zufriedener Miene über die aufgeregten Erben schweifen.
» Das wird spannend!«, sagte Luciano zufrieden.
» Wir können ohne Aufsicht durch London streifen, so viel wir wollen«, freute sich Tammo. Und selbst Franz Leopold ließ sich zu einem Lob herab.
» Eine echte Herausforderung. Ich hätte nicht erwartet, dass die Vyrad uns Gelegenheit geben, unsere Erfahrung und unser Können einzusetzen.« Dabei blickte er gezielt an Alisa vorbei.
» Und ich könnte mir denken, dass unsere neuen, geistigen Fähigkeiten, die wir bei den Dracas gelernt haben, uns einen mächtigen Vorteil verschaffen«, fügte Luciano hinzu. » Ich kann mir keinen Menschen vorstellen, dem es gelingen könnte, selbst seine schwärzesten Geheimnisse vor Leo zu verbergen. Wir wissen also gleich, wenn einer lügt!«
» Dazu brauchen wir keinen Dracas«, widersprach Alisa selbstbewusst. » Das können wir inzwischen selbst gut genug. Für Menschen und ihren schwachen Geist wird es allemal reichen!«
*
Luciano ließ sich von Dario Hemd und Hose reichen und dann die Halsbinde zu einem eleganten Knoten binden. Er legte den Kopf in den Nacken und reckte das Kinn, während der Servient mit geschickten Fingern das seidene Tuch ineinanderschlang. Vermutlich hätte Clarissa das nicht so schnell hinbekommen, dennoch wünschte sich Luciano, sie würde um ihn sein und Hand an seine Garderobe legen. Wie viel angenehmer wäre es, sich ihren Händen zu überlassen.
» Fertig. Darf ich Euch nun in Eure Jacke helfen?«
Luciano senkte vorsichtig das Kinn und streckte dann die Arme nach hinten, um in die feinen Tuchärmel zu schlüpfen.
Nein, er wollte Clarissa nicht zu seinem Schatten machen. Nicht in diesem Sinn, dass er ihr Befehle erteilte. Dennoch war der Gedanke verlockend, sie ständig um sich zu haben. Es sollte gar nicht nötig sein, ihr Anweisungen zu erteilen! Würde eine liebende Ehefrau nicht von sich aus ihren Mann umsorgen? Einfach weil sie ihm gern gefallen und helfen wollte? Auf der anderen Seite würde auch er ihr zur Hand gehen, sie leiten und stützen, mit kleinen Geschenken ein Lächeln in ihr Gesicht zaubern.
Dario kniete vor seinem Herrn, half ihm in die Schuhe zu schlüpfen und schloss die Bänder. Dann griff er nach einem weichen Tuch und polierte das makellos schwarze Leder, bis es glänzte.
Luciano seufzte. Nein, das waren Hirngespinste. So funktionierte es nur bei Menschen. Bei den Damen und Herren der Gesellschaft. Wobei eine echte Dame ihrem Gemahl sicher auch nicht beim Ankleiden half. Wozu gab es einen Kammerdiener?
Und Clarissa? Stand ihr dann nicht auch die Hilfe einer Zofe zu? Hier begann wieder das Dilemma. Eine Unreine, die sich einen Schatten hielt? So etwas gab es bei keinem Clan. Zumindest nicht, soweit Luciano wusste. Wie sollte so etwas ausgerechnet bei den Nosferas möglich sein? Doch vielleicht wäre dies ein Geschenk, das Clarissa versöhnen würde? Ihr ihre Würde und ihr Ansehen zurückgeben könnte, die sie mit ihrer Wandlung verloren zu haben glaubte. Luciano ahnte, dass dort irgendwo die Wurzel des Übels zu suchen war.
» Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«
Luciano schüttelte den Kopf. » Nein. Danke, Dario. Das hast du sehr gut gemacht. So kann ich mich sehen lassen.«
Der Schatten sah ihn ein wenig überrascht an, und Luciano fiel auf, dass er sich bisher noch nie bei ihm bedankt hatte.
Dario hielt ihm die Tür auf, verbeugte sich und wünschte seinem Herrn einen schönen Abend. » Ich mach hier nur noch kurz Ordnung, dann komme ich nach.«
Luciano nickte abwesend. » Ja, ist gut, lass dir Zeit.«
In Gedanken stieg der Nosferas langsam die Treppe hinunter. Nach ihrer Ankunft hatte er vorgeschlagen, Clarissas Sarg neben den seinen zu stellen, doch sie hatte empört abgelehnt. Nein, das schickte sich nicht. Luciano fragte sich, ob das mädchenhafte Scham war, weil sie sich noch immer nicht als seine Gefährtin sah. Oder warum zog sie sich immer öfter zu den anderen Unreinen zurück? Sie teilte nun mit Bergit und zwei anderen Schatten eine Kammer unter dem Dach. Wogegen Leonarda bei Chiara und Dario in Lucianos Zimmer untergebracht waren, um stets greifbar zu sein. Luciano hoffte, dass sich Clarissa wenigstens bei Tisch wieder zu ihm setzen würde. Zumindest wollte er sie
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