Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
entlaufenen Sklaven?«
    Sie hielt seinem forschenden Blick nicht stand und blickte beschämt auf ihr karges Mahl. »Ich sehe jetzt, dass meine Worte unüberlegt und schlecht gewählt waren«, sagte sie leise.
    »Wie war das?« Nick hob die Brauen. »Bittet Ihr mich etwa um Entschuldigung?«
    »Das wohl kaum. Aber ich gebe zu, dass ich mich vielleicht in Euch geirrt habe – wenngleich ich noch immer nicht verstehe, was Ihr tut und was Euch antreibt. Im einen Augenblick tretet Ihr als Befreier der Sklaven und als Beschützer der Armen auf, dann wieder als skrupelloser Pirat. Als Nächstes erfahre ich, dass Ihr möglicherweise der Erbe eines englischen Lords seid, aber es ändert nichts daran, dass Ihr derjenige seid, in dessen Gewalt ich mich befinde, und das seit mehr als drei Wochen. Das alles ist sehr verwirrend für mich.«
    »Nicht wahr?« Nick lächelte bitter. »Wie kompliziert die Dinge werden, wenn Ihr den Elfenbeinturm verlasst, den Euer Vater für Euch errichtet hat. Scheut Euch nicht, die Augen zu öffnen, Mylady. Sie werden Euch noch manches zeigen, das Ihr nicht versteht. Es ist ein Makel des Adels, nur das zu sehen, was er zu begreifen vermag.«
    »Ich bestreite nicht, dass Ihr in mancher Hinsicht Recht habt«, erwiderte Elena leise. »Aber was erwartet Ihr von mir, Nick? Soll ich mich gegen meinen Vater stellen? Gegen meine Herkunft und gegen alles, woran ich mein Leben lang geglaubt habe?«
    »Nein«, erwiderte er. »Das wäre wohl zu viel verlangt.«
    »Ihr seid ein Mann, wie ich ihn nie zuvor getroffen habe. Ihr steckt voller Widersprüche, seid dreist und unverschämt. Eigentlich müsste ich Euch hassen und Eure Worte als unsinniges Geschwätz abtun.«
    »Stattdessen?«, fragte Nick.
    »Stattdessen ertappe ich mich dabei, dass ich über das nachdenke, was Ihr sagt. Ich sehe immerzu diese armen Menschen in jener Hütte vor mir und frage mich, weshalb mir ihr Elend bisher verborgen geblieben ist. Ihr habt mir die Augen geöffnet, Nick Flanagan – dennoch bleibe ich, was ich bin, und Ihr bleibt, was Ihr seid. Ihr seid mein Entführer, und ich bin Eure Geisel.«
    Nick widersprach nicht. Elena verließ den Tisch, an dem sie ihr karges Frühstück eingenommen hatte, und trat ans Fenster, tat so, als könnte sie jenseits des Vorhangs den Ozean und den weiten Himmel sehen.
    »Wisst Ihr, welcher Tag heute ist?«, fragte sie leise.
    »Mittwoch«, erwiderte Nick ein wenig einfältig.
    »Das meinte ich nicht.« Elena lächelte matt. »Es ist mein Geburtstag.«
    »Euer Geburtstag?«
    »So ist es.« Sie wandte sich zu ihm um. »Was seid Ihr so verwundert? Feiert man da, wo Ihr herkommt, denn keinen Geburtstag?«
    »Nein.« Ein Schatten huschte über Nicks Züge. »Sklaven pflegen den Tag ihrer Geburt eher zu verfluchen, als ihn zu feiern.«
    »Aber Ihr seid kein Sklave mehr.«
    »Das ist wahr«, sagte er und erwiderte zaghaft ihr Lächeln.
    Ihre Blicke trafen sich, und für einen Augenblick waren sie nicht mehr Pirat und Gefangene, nicht mehr entlaufener Sklave und Herrin, sondern nur noch Mann und Frau. Obwohl sie Gegner waren, waren sie einander auch ähnlich, und obgleichsie einander hätten hassen müssen, war da auch Zuneigung. Ohne dass er es eigentlich wollte, trat Nick auf Elena zu und blieb dicht vor ihr stehen. Ihre stolze Haltung, ihre edlen, von blauschwarzem Haar umrahmten Züge, der Blick ihrer dunklen Augen – all das schlug ihn in den Bann wie an jenem Tag, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Schon damals war Nick von ihrer Anmut verzaubert gewesen, aber nie war sie ihm schöner und begehrenswerter erschienen als gerade jetzt, in diesem Augenblick.
    Weder wollte noch konnte er verhindern, dass sich sein Mund auf ihren zubewegte, und sie wich nicht vor ihm zurück.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, hauchte er leise, und noch ehe der Verstand begriff, wozu das Herz ihn drängte, wollte er seine Lippen auf ihre pressen.
    Dass es nicht dazu kam, war dem energischen Pochen an der Tür zu verdanken.
    »Nick? Bist du da drin?«
    Es war die Stimme von Nobody Jim.
    »Aye«, sagte Nick nur, und Elena und er lösten sich voneinander. Ihre Augen jedoch waren noch immer aufeinander gerichtet.
    Die Tür wurde geöffnet, Jim und Unquatl standen auf der Schwelle. Wenn sie verblüfft darüber waren, ihren Käpt’n und die Geisel so nah beisammen zu sehen, so ließen sie es sich nicht anmerken.
    »Was gibt es?«, fragte Nick.
    »McCabe will dich sprechen«, erwiderte Jim. »Er will die Wachpläne der

Weitere Kostenlose Bücher