Die Erben der Schwarzen Flagge
nächsten Woche mit dir durchgehen.«
»Ich komme.« Nick sandte Elena einen langen Blick, der Bedauern und Erleichterung zugleich enthielt. Dann verließ er ihre Kammer. Den Posten, die vor der Tür Wache standen, bedeutete er mit einem Nicken, die Augen weiter offen zu halten.
»Eine Nachricht aus Maracaibo?«, fragte Nick, während sie die Treppe hinuntergingen.
»Noch immer nicht.« Jim schüttelte den Kopf. »Die Männer werden immer nervöser. Und was da eben zwischen dir und der spanischen Lady war …«
Nick blieb auf der Treppe stehen. »Wovon sprichst du?«
Jim blickte ihn unverwandt an. »Du weißt, wovon ich spreche. Gibt es da etwas, das du uns sagen solltest?«
»Nein.« Nick schüttelte den Kopf.
»Sicher nicht? Die Bukaniere werden zunehmend unruhig, einige sprechen bereits von Meuterei. Noch genügt McCabes und Pater O’Rorkes Einfluss, um sie zurückzuhalten. Aber wenn sie erfahren, dass du etwas mit der Geisel angefangen hast und sie nur deswegen nicht in Scheiben zu ihrem Vater schickst, weil sie deine verdammte Hure ist, dann …«
Weiter kam er nicht – Nicks Faust traf ihn mitten ins Gesicht, sodass er rücklings über die Treppe stürzte und mit blutender Nase unten liegen blieb.
»Jim!« Nick hatte kaum zugeschlagen, als er seine Tat auch schon bereute. Mit einem Satz nahm er die restlichen Stufen und kam Jim zur Hilfe, half dem lädierten Freund auf die Beine. »Es tut mir Leid, Jim«, versicherte er dabei.
»Schon gut«, presste Nobody hervor, während er sich das Blut aus dem Gesicht wischte. »Du musst wissen, was du tust. Du bist der Käpt’n«
»So ist es«, knurrte Nick und wollte zur Tür hinaus, aber Unquatls Pranke hielt ihn zurück.
»Frau nicht gut für dich«, sagte der Indianer mit versteinerter Miene. »Bringen Unglück über dich und uns alle.«
»Unsinn.« Nick schüttelte den Kopf. »Das ist purer Aberglaube, nichts weiter.«
»Kein Aberglaube«, versicherte der Indianer. »Fühlt, dass Unheil kommen wird, schon bald.«
»Wie bald denn?«, fragte Nick, den die Warnung des Freundes nicht sehr erschreckte. In der Gefangenschaft in Maracaibo hatte Unquatl fortwährend düstere Vorzeichen und nahendes Unheil gesehen, dabei waren die Schrecken allgegenwärtig gewesen, und man hatte kein Hellseher zu sein brauchen, um sie zu prophezeien.
»Sehr bald«, war Unquatl überzeugt. »Noch in dieser Nacht.«
»Meinst du?«, näselte Nobody Jim, und Nick konnte sehen, wie ein dicker Kloß den Hals seines sonst so unbekümmerten Freundes hinauf- und wieder hinabwanderte.
»Unsinn«, sagte er deshalb noch einmal und klopfte Unquatl beruhigend auf die Schulter. »Unser roter Bruder hier ist klug und weise, aber bisweilen neigt er zur Schwarzseherei. Was wir hier brauchen, ist ein wenig Zuversicht. Also reißt euch zusammen, Freunde. Es wird alles gut werden, ihr werdet schon sehen.«
»Unquatl wird sehen«, entgegnete der Indianer düster. »Noch heute Nacht …«
8.
D ie Nacht war dunkel und mondlos.
Anders als in den meisten karibischen Nächten lag die See nicht als glitzernder Spiegel da, der den Glanz des Mondes und der Sterne vom Firmament holte, sondern als stumpfe Fläche, die sich nicht vom nächtlichen Himmel unterschied. Dichte Wolkenund nebliger Dunst machten die Schwärze der Nacht vollkommen.
Weder die Wachen auf den Klippen noch die Bukaniere, die Nick wie in jeder Nacht am Kai postiert hatte, bemerkten das Schiff, das von Osten in die Bucht von Cayenne einfuhr.
Wie sollten sie auch?
Die Pinasse, deren Großsegel gerefft waren, damit sie sich lautlos in den Hafen schlich, war selbst so schwarz wie die Nacht. Weder Rumpf noch Segel waren auszumachen, die Dunkelheit verschluckte das Schiff wie ein Phantom. Erst als entlang der Stückpforten grelle Lichtblitze aufflammten, wurden die Wachen aufmerksam – aber da war es bereits zu spät. Entsetzt sahen sie das grelle Feuer, dessen Widerschein einen Augenblick lang die Nacht erhellte und das segelbeschlagene Monstrum sichtbar werden ließ. Dann war Kanonendonner zu hören, ein schrilles Pfeifen – und einen Lidschlag später schlugen die todbringenden Geschosse ein.
Infernalisches Getöse war die Folge. Gesteinsbrocken und Splitter hagelten umher und streckten zwei der Bukaniere nieder. Und noch ehe ihre Kameraden die Flucht ergreifen konnten, schlugen bereits die nächsten Geschosse mit vernichtender Präzision ein. Im Takt des Herzschlags flammten die Kanonen auf, als das fremde Schiff eine weitere
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