Die Erben der Schwarzen Flagge
ihn, sodass er die Augen unwillkürlich wieder schloss. Der modrige Geruch des Dschungels stieg ihm in die Nase, begleitet von den Geräuschen des Urwalds, den Schreien der Vögel und dem Kreischen der Affen.
Blinzelnd schlug Nick die Augen wieder auf und schaute sich um. Zu seiner Verwunderung befand er sich in einem behelfsmäßigen Lager, das rings von dichtem Grün umgeben war. Nick erblickte Jim und Unquatl, die auf dem Boden kauerten und ein erlegtes Wildschwein häuteten, während der Chinese bereits dabei war, ein Feuer zu schüren.
»Gelobt sei der Herr«, sagte jemand in unmittelbarer Nähe.
Nick wandte den Kopf und sah Pater O’Rorke, der neben ihm kniete und wohl über ihn gewacht hatte. »Fürwahr, Nick Flanagan«, meinte der Mönch, »du hast mehr Glück als Verstand. Als dich das Wundfieber befiel, fürchtete ich, du würdest das Schicksal deines Vaters teilen. Aber mit der Hilfe des Herrn hast du gekämpft wie ein Löwe und das Fieber besiegt.«
»Das Fieber?«, fragte Nick. Seine Stimme klang rau und fremd in seinen Ohren, als hätte er sie eine Ewigkeit nicht gehört. »Wie lange war ich …?«
»Vier Nächte und drei Tage«, gab der Mönch zu Nicks maßlosem Erstaunen zurück. »So lange fürchteten wir, dich zu verlieren. Aber nun bist du über den Berg, und ich danke dem Herrn dafür.«
Die anderen waren aufmerksam geworden und kamen herbei, um Nick unter den Lebenden zu begrüßen. Während er selbst den Eindruck hatte, dass seit ihrer Flucht aus Cayenne nur wenige Augenblicke verstrichen waren, waren es in Wirklichkeit drei Tage gewesen – drei Tage, in denen er mit dem Tod gerungen und in denen ihm seine Kameraden beigestanden hatten.
»Wie geht es dir?«, wollte Nobody Jim wissen.
»Ganz gut, schätze ich.« Nick versuchte ein Lächeln. »Das habe ich euch zu verdanken, Freunde.«
»Vergiss es nicht gleich wieder«, entgegnete Jim nur und wandte sich wieder dem Wildschwein zu. Unquatl und der Chinese blieben noch einen Augenblick länger, aber ihre Blicke enthielten dieselbe Mischung aus Erleichterung und Tadel.
Nick konnte es ihnen nicht verübeln. Sollte er ihnen nachtragen, dass sie von ihm enttäuscht waren? Die ganze Zeit über hatte er ihnen eingeredet, dass alles gut werden und das Lösegeld noch eintreffen würde – stattdessen waren Tod und Vernichtung über Tortuga hereingebrochen. Er war es gewesen, der sie überredet hatte, Elena de Navarro zu entführen. Er allein hatte sich den Plan ausgedacht, aber sie alle hatten dafür büßen müssen.
»Wo … sind die anderen?«, erkundigte er sich bei O’Rorke und fürchtete sich vor der Antwort.
»Es gibt keine anderen«, erwiderte der Pater und übertraf damit Nicks ärgste Befürchtungen.
»Was soll das heißen?«, fragte Nick mit belegter Stimme. »Das Schiff …?«
»Es gibt kein Schiff mehr«, entgegnete der Ordensmann hart. »Die Seadragon liegt auf dem Grund des Meeres.«
»Und unsere Leute? Wo ist McCabe?«
»McCabe hat sich geopfert, um unseren Rückzug zu decken«, erklärte der Mönch traurig. Erinnerungsfetzen zogen an Nicks innerem Auge vorbei, und er sah den Schotten, wie er sich todesmutig den Verfolgern stellte. Nick hatte gehofft, dass der Tod des Freundes nur im Fieberwahn stattgefunden hatte. Aber nun musste er erkennen, dass die Wirklichkeit den Albtraum an Schrecken noch übertraf …
»Und der Rest der Mannschaft? Kendrick? Shorty? Demetrios?«
»Viele sind tot, der Rest ist in alle Winde verstreut. Der Angriff hat uns völlig unerwartet getroffen. Nur mit Glück und dem Beistand des Herrn gelang es uns, aus Cayenne zu entkommen, und auch unsere Lage ist verzweifelt genug.« O’Rorkes breite Stirn legte sich in Falten, die buschigen Brauen zogen sich zusammen. »Aber im Augenblick soll dies nicht deine Sorge sein. Du bist am Leben und wirst wieder gesund werden, nur das zählt.«
Nick blickte an sich herab, rührte zum ersten Mal bewusst die verletzte Schulter. Die Wunde schmerzte noch immer, aber er konnte seinen Arm bewegen, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Schmerz ganz verschwinden würde – dank der beherzten Hilfe seiner Freunde. Unter Einsatz ihres Lebens hatten sie seines gerettet – welch eine Verschwendung in Anbetracht der Schuld, die er auf sich geladen hatte!
»Was ist nur geschehen, Pater?«, fragte Nick leise. »Wie konnte das passieren?«
»Verrat«, sagte O’Rorke nur.
»Wer war dieser schwarze Kerl, der Elena entführt hat?«
»Noch wissen wir nicht alle
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