Die Erben der Schwarzen Flagge
keinen Trost. Was ich getan habe, ist unentschuldbar. Warum habt Ihr mich nicht einfach in Cayenne zurückgelassen, wie ich es verlangte? Dann wäre ich zusammen mit denen gestorben, die ich ins Verderben geführt habe.«
»Ist das dein Ernst, Sohn?«
»Allerdings«, antwortete Nick voll Bitterkeit. »Es wäre nur recht und billig gewesen, dass ich ihr Schicksal teile.«
»Dennoch hat der Herr es in seiner Weisheit anders gewollt.«
»Sprecht mir nicht vom Herrn und seiner Weisheit, Pater.« Schnaubend fuhr Nick herum; die Tränen wischte er sich wütend aus dem Gesicht. »Ich habe nichts vom Herrn gesehen, als Bricassarts Leute sengend und mordend über Tortuga hergefallen sind. Ich glaubte, meiner Bestimmung zu folgen. Ich habe dem Schicksal vertraut, Pater – und ich bin gescheitert!«
»Ist das deine Antwort auf alles, was geschehen ist?«, fragte O’Rorke dagegen. »Du gibst dem Herrn die Schuld für dein Versagen? Welch eine jämmerliche Ausrede! Und sie kommt mir noch dazu nur zu bekannt vor.«
»Sie kommt Euch bekannt vor?«
»Allerdings. Vor vielen Jahren stand ein Mann vor mir, gebeugt und geschlagen wie du, und er hatte nur den einen Wunsch, zu sterben. Er glaubte seine Frau und seinen Sohn verloren, und wie du gab er dem Allmächtigen die Schuld dafür. Er haderte und fluchte, bis er einsah, dass noch nicht alles verloren war und der Herr denen hilft, die sich selbst helfen. Er rüstete ein Schiff und eine Mannschaft aus und begab sich auf die Suche nach seiner Familie. Fest glaubte er daran, sie eines Tages wiederzufinden.«
»Ihr sprecht von Graydon«, stellte Nick fest.
»So ist es.«
»Er war ein Narr«, beschied Nick bitter. »Er hat daran geglaubt, dass sich seine Hoffnungen eines Tages erfüllen würden, aber er hat sich nur selbst etwas vorgemacht. Nach Jahren vergeblicher Suche starb er, ohne seine Frau oder seinen Jungen jemals wieder gesehen zu haben.«
»Dennoch ist er seinem Stern gefolgt und hat getan, was er als seine Bestimmung ansah. Und du selbst bist der beste Beweis dafür, dass seine Suche weder vergebens noch eine Narretei gewesen ist.«
»Ihr glaubt noch immer, dass ich sein Sohn bin? Nach allem, was ich getan habe?«
»Warum sollte ich es nicht glauben?«, hielt O’Rorke dagegen. »Selbst jetzt, in der Stunde deiner größten Verzweiflung, bist du ihm ähnlich.«
Nick wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Prüfend starrte er den Ordensmann an, der seinem Blick standhielt und damit bewies, dass er es ehrlich meinte. Und schließlich fühlte Nick, wie sich sein hilfloser Zorn in Trauer verwandelte. Mutlos und entkräftet sank er nieder, vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich habe versagt, Pater«, flüsterte er. »Gott helfe mir, ich habe versagt …«
»Du bist leichtfertig gewesen, das ist wahr. Hast mit Mächten gespielt, die du weder abschätzen noch kontrollieren konntest. Aber an Cutlass Joes Verrat trifft dich keine Schuld.«
»Und wenn schon. All diejenigen, die an mich geglaubt und mir vertraut haben, haben teuer dafür bezahlt, während ich noch immer am Leben bin.«
»Und deswegen plagt dich dein Gewissen? Weil du noch am Leben bist?«
»Ginge es Euch nicht ebenso?«
»Nein, Junge«, erwiderte O’Rorke entschieden. »Weil ichmich fragen würde, was der Herr damit bezwecken wollte, dass er mich am Leben ließ – und in deinem Fall scheint es mir offensichtlich.«
»Wovon sprecht Ihr?«
»Steh auf, Nick Flanagan«, sagte der Pater, und seine Stimme hörte sich plötzlich nicht mehr sanft und gütig an, sondern streng und fordernd. »Nimm dich gefälligst zusammen, Junge. Du hast eine Aufgabe zu erfüllen.«
»Jetzt nicht mehr, Pater …«
»Du denkst, es wäre vorbei? Dann bist du ein Narr, Nick Flanagan, und zwar ein noch größerer, als dein Vater es je gewesen ist. Glaubst du wirklich, du würdest die Verantwortung, die du so bereitwillig auf dich genommen hast, so rasch wieder los? Dann irrst du dich, Sohn, denn du kannst dich ihrer nicht entledigen wie eines Paars alter Stiefel, erst recht nicht durch Versagen. Was glaubst du, weshalb Jim dir so böse ist?«
»Warum wohl?«, murmelte Nick. »Weil ich als Käpt’n versagt habe. Weil ich ein schlechter Kommandant gewesen bin.«
»Das ist nicht der Grund.« O’Rorke schüttelte den Kopf. »Ein lausiger Kommandant bist du erst jetzt, da du dich aus der Verantwortung stehlen willst. Die Männer wollen von dir geführt werden, auch jetzt noch. Sie glauben an dich, sonst wären sie
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