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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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wie das schöne, behütete Leben, das sie geführt hatte, so jäh hatte enden können.
    Plötzlich näherten sich Schritte. Fackelschein drang den Zellengang herab und vertrieb die Finsternis. Aufgeschreckt stob die Meute der widerlichen Nager auseinander. Ihre Schatten huschten flüchtig über die Wand, ehe sie in unsichtbaren Löchern und Nischen verschwanden, und vor dem Gitter der Zellentür erschien die ausdruckslose Miene von Carlos de Navarro.
    »Vater«, schluchzte Elena mit Tränen in den Augen. Das Licht der Fackel war so grell, dass sie ihre Augen davor beschirmen musste. Im flackernden Schein bot die junge Frau einen elenden Anblick: Ihr Kleid war zerschlissen und voller Schmutz, das Haar in wirrer Unordnung, ihr Gesicht von Blessuren übersät.
    »Vater, was hast du nur getan?«, fragte sie. »Sieh dir nur an, was aus mir geworden ist!«
    »Das hast du dir selbst zuzuschreiben«, entgegnete der Conde ohne Bedauern. »Ich habe dich gewarnt, dass es ein Fehler wäre, sich Bricassarts Wünschen zu verweigern. Ich kann dich nicht vor ihm beschützen, Elena.«
    »Du hast es ja nicht einmal versucht! Wie eine Dirne wolltest du mich verkaufen.«
    »Noch immer spricht Unbeugsamkeit aus dir. Ich hatte gehofft, dass der Aufenthalt im Kerker deinen Sinn ändern würde.«
    » Du hattest das gehofft?« Elena blickte ihn ungläubig an. Mit jedem Wort, das ihr Vater sprach, sah sie ihn in einem anderen, noch zwiespältigeren Licht. »Dann wusstest du, dass man mich in dieses finstere Loch stecken würde?«
    »Es ist auf meine Anweisung geschehen, und du solltest mir dafür dankbar sein.«
    »Ich soll dir dafür dankbar sein? Hast du den Verstand verloren, Vater?«
    »Hüte deine vorlaute Zunge, solange du nicht verstanden hast, was hier vor sich geht, Tochter. Du hast keine Ahnung, wie mächtig Bricassart und sein Sohn sind.«
    »Ich habe gesehen, wozu Damian in der Lage ist«, versicherte Elena. »Nur um mich zu beeindrucken, befahl er einem Mitglied seiner Mannschaft, von Bord zu springen und sich den Haien zum Fraß vorzuwerfen. Und er erzählte mir von düsteren Dingen, von seinem Vater und von schwarzer Magie.«
    »All diese Dinge sind wahr, Elena«, beteuerte der Conde. »Es hat keinen Zweck, es zu leugnen. Dunkle Kräfte stehen Bricassart zu Gebote, jeder Widerstand wird von ihnen im Keim erstickt. Du kannst dich ihm nicht widersetzen, ebenso wenig, wie ich es konnte.«
    »Aber Vater! Wie ist es nur so weit gekommen? Hilf mir, es zu verstehen …«
    »Es gibt nichts zu verstehen, meine Tochter. Der Commodore Bricassart ist unser Anführer und Meister. Ihm allein sind wir zum Gehorsam verpflichtet.«
    »Sprich du nur für dich, Vater. Ich habe nicht vor, mich den Anweisungen dieses Scheusals zu fügen, und du solltest es auchnicht tun. Hast du vergessen, wer du bist? Du bist der Conde von Maracaibo, ein Beauftragter Seiner Majestät des Königs.«
    Navarro starrte blicklos vor sich hin, im krampfhaften Bemühen, sich zu erinnern. »Was immer ich war«, sagte er dann, »ist nicht mehr von Belang. Vielleicht war ich einst ein mächtiger Mann, und vielleicht glaubte ich, die Bricassarts hintergehen zu können, um mit ihrer Hilfe meine Macht zu mehren. Aber das ist lange vorbei. Man hat mir die Augen geöffnet, und ich habe erkannt, dass mein Dasein auf dieser Welt nur einem Zweck dient: dem Commodore zu dienen und seinen Befehlen zu gehorchen. Ich gehöre jetzt ihm, Elena, und auch du wirst ihm schon bald gehören, ob du es willst oder nicht.«
    Um seine Worte zu unterstreichen, hob der Graf wie zum Schwur die rechte Hand. Mit Erschrecken sah Elena das Totenkopfzeichen, das darin eingebrannt war.
    »Du gehörst zu seinen Männern«, flüsterte Elena schaudernd. »Du bist einer von ihnen. Ein Pirat …«
    »Ich folge meiner Bestimmung, wie auch du ihr folgen wirst.«
    »Niemals, Vater.« Sie schüttelte den Kopf.
    »Sei nicht töricht, Kind. Bricassart hat die Mittel, um dich zu beugen. Zwinge ihn nicht, sie einzusetzen, so wie ich es getan habe.« Er wandte den Blick, und für einen winzigen Moment schien der Mann, den Elena einst gekannt und geliebt hatte, durch den Schleier der Lethargie zu blitzen. »Es ist ein Dasein in ewiger Dunkelheit, Elena. Ohne Erinnerung. Ohne Trauer. Ohne Freude. Lass nicht zu, dass aus dir wird, was aus mir geworden ist.«
    »Das werde ich nicht«, versicherte Elena. »Und auch für dich ist es noch nicht zu spät, Vater. Sage dich von Bricassart los! Brich den Fluch, den er über dich

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