Die Erben der Schwarzen Flagge
verhängt hat! Ich weiß, dass du die Kraft dazu hast. Ich glaube an dich, Vater! Ich liebe dich!«
Der Conde schaute auf, und im flackernden Schein der Fackel glaubte Elena, eine Träne in seinem Augenwinkel schimmern zu sehen. Aber schon einen Herzschlag später war der flüchtige Eindruck erloschen, und steinerne Gleichgültigkeit kehrte auf Navarros Züge zurück.
»Falsche Schlange«, zischte er. »Unser Meister warnte mich davor, dass du versuchen würdest, mich gegen ihn aufzubringen.«
»Es ist noch nicht zu spät, Vater! Höre auf mich …«
»Du willst Bricassarts Wunsch also nicht entsprechen?«, fragte Navarro, ohne auf ihren Einwand zu achten. »Du willst dich ihm weiter widersetzen?«
Elena atmete tief ein, kämpfte mit aller Macht den Gefühlsaufruhr nieder, der in ihrem Inneren herrschte, die Enttäuschung und die Furcht, die sie befielen. »So ist es«, erwiderte sie dann so ruhig, wie sie es nur vermochte.
»Der Meister hat vorausgesehen, dass du das sagen würdest, Tochter. Er sagte mir, dass es keinen Sinn hätte, dich mit Worten bekehren zu wollen, und wie ich jetzt sehen kann, hatte er Recht. Vielleicht werden deine Augen bewirken, wozu dein unbesonnener Geist nicht in der Lage war.«
»Meine Augen? Was meinst du damit?«
»Warte es ab. Heute Nacht werde ich dich aus deiner Zelle holen, und du wirst Zeuge der unermesslichen Macht unseres Meisters werden. Dann wirst auch du dich zu ihm bekennen.«
Damit wandte sich der Graf ab, und ohne ein weiteres Wort zu verlieren oder sich auch nur noch einmal umzublicken, verschwand er den Kerkergang hinab – und das Licht mit ihm.
»Nein, Vater, bitte nicht«, rief Elena ihm hinterher, »lass mich nicht allein!«
Aber der Conde kehrte nicht mehr um, seine schleppenden Schritte verklangen in der Dunkelheit.
Elena fühlte namenlose Verzweiflung. Und in der Finsternis hatte sie das Gefühl, der Boden wanke unter ihren Füßen.
6.
Gewässer südlich von Cigateo
29. Mai 1692
D er neue Tag kündigte sich mit glühendem Himmel an, der die See feuerrot färbte und die Wolken im Osten in Brand zu setzen schien. Scharf zeichneten sich die Umrisse der drei Schiffe ab, die noch vor Tagesanbruch Cigateo verlassen hatten: eine britische Kriegsfregatte und zwei Begleitschiffe, die unter voller Bewaffnung und Takelage segelten. Sogar die Royals und die Beisegel hatte Vincent Scarborough, der Befehlshaber des Geschwaders, setzen lassen, um nur möglichst rasch das Ziel zu erreichen, das weit im Süden lag, jenseits der Luvpassage, an den zerklüfteten Gestaden Jamaicas.
Die Prosecutor, das Flaggschiff des kleinen Verbandes, bildete die Spitze, flankiert von den beiden Brigantinen, die die stolzen Namen Harness und Harbinger trugen. Alle drei Schiffe segelten hoch am Wind und nutzten die günstige Brise, die von Nordwesten wehte und sie der Windward-Passage entgegentrug.
Nie hatte Nick eine Schiffsbesatzung gesehen, die wirkungsvoller und disziplinierter arbeitete; Zucht und Ordnung wurden auf britischen Schiffen hochgehalten, anders als auf den Galeonen der Spanier, wo nicht selten der Abschaum der Kolonien als Mannschaft diente und nur die Offiziere zuverlässig waren. Wenndie Männer im Kampf gegen die Piraten so beherzt zupackten, wie sie es bei der Arbeit auf Deck taten, brauchte Nick sich keine Sorgen zu machen, was den Ausgang des Kampfes gegen Bricassart und seine Leute betraf.
Captain Scarborough hingegen schien seine Zuversicht nicht zu teilen. »So ist es richtig«, sagte er und trat zu Nick, der vom Hüttendeck aus auf das Oberdeck blickte. »Seht Euch diese Männer gut an, Flanagan. Denn wenn Euer Plan misslingt, werdet Ihr all diese braven Seeleute auf dem Gewissen haben.«
Nick erwiderte nichts darauf, sandte dem Offizier nur einen Seitenblick. Man brauchte nicht Gedanken lesen zu können, um zu erkennen, dass Scarborough beinahe platzte vor Eifersucht. Bis zu dem Tag, an dem Nick und seine Freunde aufgetaucht waren, war der Captain Admiral Lancasters engster Vertrauter und seine rechte Hand gewesen – nun jedoch schien ihm ein anderer diese Position streitig zu machen.
»Mir macht Ihr nichts vor, Flanagan«, stichelte er weiter. »Ihr mögt Lord Cliffords Erbe sein oder nicht, aber Ihr verfügt über keinerlei militärische Erfahrung. Weder habt Ihr die Militärakademie durchlaufen, noch nennt Ihr ein Kapitänspatent Euer Eigen.«
»Und?«, hielt Nick dagegen. »Ist Euch nie der Gedanke gekommen, Captain, dass der Dienstgrad eines
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