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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sich geschlossen hatten. Dann wandte er sich Elena zu, die sich in den hintersten Winkel der Kajüte zurückgezogen hatte, ihr zerschlissenes Gewand an sich pressend.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er sanft.
    »J-ja«, kam es kläglich zurück.
    »Hat er …? Ich meine …«
    »Nein.« Die Grafentochter, deren Gesicht Nick im Halbdunkel kaum erkennen konnte, schüttelte den Kopf. »Du bist … Ihr seid noch rechtzeitig gekommen.«
    »Gut. Kann ich Euch etwas bringen? Braucht Ihr etwas?«
    »Nein. Ich möchte nur allein gelassen werden. Bitte …«
    Es war das erste Mal, dass Nick dieses Wort aus ihrem Mund hörte. Ihre Stimme bebte, und im einfallenden Mondlicht sah er die Tränen, die auf ihrem Gesicht glitzerten.
    Er widerstand der Versuchung, zu ihr zu gehen und sie zu trösten – sie hätte es nur missverstanden. Welche Aussicht hatte er auch, ihr Trost zuzusprechen? Immerhin war er ihr Entführer und somit für ihr Elend verantwortlich.
    Nicks Gewissen regte sich, und zum ersten Mal empfand er etwas wie Mitleid für die junge Frau, obwohl sie die Tochter seines Erzfeindes war. Vielleicht, sagte er sich, hatte Cutlass Joe Recht, und er taugte tatsächlich nicht zum Piraten. Oder war es das Erbe seines leiblichen Vaters, das sich tief in seinem Inneren Bahn brach?
    »Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Nehmt meine Entschuldigung für das, was geschehen ist. Ich versichere Euch, dass es nicht wieder vorkommen wird.«
    »Gut«, drang es flüsternd zurück. »Und nun lasst mich allein.«
    Noch einen Augenblick stand er unentschlossen da, dann wandte er sich zum Gehen. »Ich werde eine Wache vor Eurer Tür aufstellen, damit Ihr in Frieden ruhen könnt«, sagte er. »Niemand wird Euch auf diesem Schiff mehr belästigen, Doña Elena, ich gebe Euch mein Wort darauf.« Sie erwiderte nichts, und er trat zur Kajütentür.
    »Nick?«, fragte sie leise.
    »Ja?« Er wandte sich noch einmal um.
    »Ich danke Euch.«
    Im Gegenlicht des Mondes konnte er ein schwaches Lächeln auf ihren angstvollen Zügen sehen, und für einen kurzen Augenblick erwiderte er ihr Lächeln.
    »Gern geschehen«, sagte er und verließ die Kajüte.

3.
    A m nächsten Morgen stand Elena de Navarro an der Achterreling; sehnsüchtig blickte sie nach Süden, aber Maracaibo war fern und unerreichbar. Auf der Steuerbordseite des Schiffes war Land in Sicht gekommen – der schmale Küstenstreifen Hispaniolas machte Elena klar, wie weit entfernt von zu Hause sie sich befand.
    Ob ihr Vater bereits von ihrer Entführung erfahren hatte?
    Der Gedanke, dass die halbe Armada de Barlavento unterwegs war, um nach ihr zu suchen und sie aus den Klauen ihrer Häscher zu befreien, tröstete Elena ein wenig. Von diesem zarten Hoffnungsschimmer abgesehen, fühlte sie sich elend und einsam wie nie zuvor in ihrem Leben. Und trotz der Morgensonne, die vom blauen Himmel schien, schauderte sie innerlich vor Kälte.
    Die Kunde von dem, was in der Nacht in der Kapitänskajüte vorgefallen war, hatte sich wie ein Lauffeuer unter der Mannschaft verbreitet. Die meisten Besatzungsmitglieder der Seadragon wagten es nicht einmal mehr, Doña Elena anzusehen, so sehr hatte ihr Kapitän ihnen eingeschärft, sie in Ruhe zu lassen. Mit verstohlenen Blicken lugten sie dennoch nach ihr, und Elena fühlte sich auf Schritt und Tritt beobachtet. Furcht ergriff mit klammer Hand von ihr Besitz. Nach den Geschehnissen der Nacht hatte ihre Selbstsicherheit schweren Schaden genommen. Elena fühlte sich verletzt und gedemütigt, und sie fragte sich, ob sie ihre Heimat jemals wieder sehen würde …
    »Ihr sorgt Euch, mein Kind?«
    Ohne dass sie es bemerkt hatte, war der Mönch neben sie getreten. Nicht nur seinem Namen, sondern auch seinen derben Gesichtszügen nach war er unverkennbar ein Ire.
    »Ich wüsste nicht, was Euch das anzugehen hat«, entgegnete Elena barsch. Sie wollte in Ruhe gelassen werden und mit ihrem Schmerz allein sein. War das so schwer zu verstehen?
    »Verzeiht«, sagte Pater O’Rorke sanft. »Ich wollte nicht anmaßend erscheinen. Aber ich gewahrte Eure Einsamkeit und dachte …«
    »Was kümmert Euch meine Einsamkeit? Was interessiert es Euch, was ich empfinde? Ihr gehört auch zu diesen Piraten, oder nicht? Ihr seid ausgestoßen und gesetzlos wie sie.«
    »Ich fürchte, das bin ich«, stimmte O’Rorke zu. »Aber mein Glaube verpflichtet mich, jenen zu helfen, die meiner Hilfe bedürfen. Und in Euren Zügen, mein Kind, lese ich Furcht.«
    »Dann müsst Ihr Euch irren, Pater«,

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