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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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behauptete sie. »Ich fürchte mich grundsätzlich nicht vor Männern, deren Mut eben dazu ausreicht, sich an wehrlosen Frauen zu vergreifen.«
    »Vor Cutlass Joe braucht Ihr Euch nicht mehr zu fürchten«, versicherte O’Rorke. »Kapitän Flanagan hat ihn für den Rest der Fahrt unter Arrest gestellt und seinen Ausschluss aus der Mannschaft beschlossen. Das ist die härteste Strafe, die einen Bukanier treffen kann – manche behaupten gar, sie wäre noch schlimmer als der Tod. Denn ohne seine Bruderschaft ist ein Bukanier nichts wert, er treibt davon wie ein Blatt im Wind.«
    Elena erwiderte nichts darauf, sondern blickte wieder achteraus, zeigte keine Regung.
    »Ich sage Euch dies nur, damit Ihr Euch keine Sorgen mehr macht«, meinte O’Rorke. »Nick Flanagan hat versprochen, Euch unter Einsatz seines Lebens zu beschützen, und das wird er auch tun. In der Mannschaft gab es Stimmen, die Cutlass Joes Begnadigung forderten, aber Nick hat sich durchgesetzt. Ihr könnt ihm vertrauen, Mylady. Er ist nicht der, für den Ihr ihn auf den ersten Blick halten mögt.«
    »Ich weiß, Pater«, sagte Elena.
    »Ihr wisst es?«
    »Natürlich. Es ist mir keineswegs entgangen, dass er sich nicht wie die anderen Männer an Bord dieses Schiffes benimmt. Dass er kein Trunkenbold ist und kein rauflüsterner Geselle. Ehre und Anstand scheinen ihm zumindest nicht fremd zu sein. Aber ich frage Euch, Pater: Würde ein Ehrenmann das Kommando über eine Horde Seeräuber übernehmen? Würde ein Ehrenmann Strafgefangene aus einem Lager befreien? Würde ein Ehrenmann eine wehrlose Frau gegen ihren Willen entführen?«
    »Nun – es käme auf seine Beweggründe an.«
    »Nein, Pater.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Für Verbrechen wie diese gibt es keine ausreichenden Beweggründe. Nick Flanagan mag wie ein Ehrenmann wirken. Er mag gelernt haben, sich nobel auszudrücken und Worte wie Ehre und Anstand im Munde zu führen, und möglicherweise ist er seinen Untergebenen ein loyaler Anführer – aber das ändert nichts daran, dass er ein gemeiner Dieb und Räuber ist, dem ich meine Gefangenschaft verdanke. Ein Ehrenmann hätte mich in Maracaibo bei meinem Vater gelassen. Und jetzt geht mir aus den Augen, ehe ich jede Etikette vergesse und mich übergebe. Der Gestank auf diesem Schiff beleidigt meine Nase.«
    Elena de Navarros Augen blitzten in altem Zorn, ihre Unsicherheit schien überwunden. Pater O’Rorke seufzte und setzte zu einer Erwiderung an – als der Ausguck Landfall meldete.
    »Tortuga ist in Sicht, Käpt’n«, scholl es herab. »Wir sind am Ziel!«

4.
    Gewässer vor Jamaica
Zur selben Zeit
     
    W ie ein Geisterschiff kam die Pinasse aus der Nebelwand, die vor der Südostküste Jamaicas aufgezogen war – ein Phantom, das düster und Furcht erregend anzusehen war.
    Der breite Rumpf, der durch die Gischt pflügte, war schwarz wie die Nacht, ebenso die Takelage. Rabenschwarze Segel blähten sich an den Rahen und erweckten den Eindruck, das Schiff auf dunklen Schwingen über das Wasser zu tragen. Die Galionsfigur über dem Bug stellte ein Monstrum dar, ein Ungeheuer aus grauer Vorzeit, dessen Rachen weit aufgerissen war, als wollte er jedes kreuzende Schiff verschlingen. Das Vordeck und die Kuhl waren mit drohenden Sechspfündern bestückt, deren dunkle Mündungen jedem arglosen Handelsschiff Tod und Untergang verhießen. Und entlang des schwarzen Rumpfes reihten sich Stückpforten, achtzehn an der Zahl, hinter denen noch mehr Verderben lauerte.
    Über dem Achterdeck erhob sich ein turmartiger Aufbau, der das Oberdeck weit überragte und dessen Galerie mit einer grausigen Dekoration versehen war. Ausgebleichte Schädel reihten sich hier aneinander, deren leere Augenhöhlen noch auf die brennenden Wracks zu starren schienen, die das Schiff in seinem Kielwasser gelassen hatte.
    Es gab Seeleute, die die Pinasse tatsächlich für ein Geisterschiff hielten, für ein Phantom, das führerlos durch die Gewässer der Karibik kreuzte, um unvermittelt aus dem Nebel aufzutauchen und arglosen Matrosen die Seelen zu rauben. Dass sichdieser Aberglaube in den Spelunken von Cayenne bis New Providence, von den Leeward Islands bis hinauf zu den Carolinas so hartnäckig hielt, hatte einen Grund – denn wer die Pinasse zu sehen bekam, der konnte für gewöhnlich nicht mehr davon berichten. Die wenigen Gerüchte, die hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurden, stammten aus dem Mund jener Elenden, die nach einer solchen Begegnung noch lange genug

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