Die Erben der Schwarzen Flagge
Auftauchen überall in der Karibik für Angst und Schrecken sorgte – und dessen Ruf schließlich auch bis ins ferne Maracaibo gedrungen war.
Von den vier Pinassen und sieben Brigantinen, die zur Flotte gehörten, lagen nur wenige in der Bucht vor Anker; Bricassarts Kapitäne waren zwischen den Inseln und entlang des Festlands auf Beutezug. Für die Silbertransporte der armada de la plata, die von Maracaibo aus in See stachen, war jedoch allein die Leviathan verantwortlich.
Von seinem hohen Posten aus beobachtete Damian Bricassart, wie die Leviathan in ihren Heimathafen einlief. Wie immer, wenn das Schiff zurückkehrte, versammelten sich Schaulustige am Kai:Matrosen, die sich den Piraten anschließen wollten; Betrunkene, die nur darauf warteten, shanghait 16 zu werden; dazu fliegende Händler, die ihre Ware ausgebreitet hatten, und Dirnen, die ihre Reize zur Schau stellten, beide in der Hoffnung auf neue Kundschaft. Ihnen allen gemeinsam war eine Mischung aus Furcht und Bewunderung, mit der sie auf die Leviathan starrten – was die Brust des jungen Kapitäns vor Stolz und Genugtuung schwellen ließ.
Ein Salutschuss donnerte durch die Bucht, den Damian durch Abfeuern der Bugstücke beantworten ließ. Der Sohn des Commodore verharrte nicht an Deck, bis das Schiff Anker geworfen hatte – sein Vater wartete dringend auf Nachricht. Die Kapitänsbarkasse wurde eilends zu Wasser gelassen, und der junge Bricassart nahm darin Platz. Acht kräftige Männer ruderten ihn an Land, während es am Kai bereits zu ersten Handgreiflichkeiten kam. Freudenmädchen schlugen sich wie üblich darum, wer bei der neuen Kundschaft den Vortritt hätte, und zum Vergnügen der Besatzung der Leviathan fielen sie übereinander her wie wilde Tiere und wälzten sich auf dem Boden.
Damian schnitt eine Grimasse. Er war gelangweilt von diesen Dingen, hatte die Nase voll von derben Späßen. Um sein dunkles Herz zu erheitern, bedurfte es mehr als sich balgende Huren.
Eine Kutsche wartete und nahm ihn auf, fuhr ihn durch die engen Straßen zur alten Garnisonsfestung, die sich jenseits der Hütten und Baracken erhob. Der alte Henry Morgan hatte die Festung in den Tagen seiner Herrschaft errichten lassen, ehe er schwach und hinfällig geworden war. Die letzten Jahre seines Lebens hatte Morgan in Siechtum verbracht, gezeichnet vom Alkohol, wie es hieß.
Damian wusste es besser.
Über die schmale Zufahrt ging es zur Festung, deren Tor wie immer verschlossen war. Dem alten Bricassart war klar, dass es viele Neider gab, die dem Herrn von Port Royal Besitz und Stellung missgönnten und nur auf eine Gelegenheit warteten, ihn zu stürzen. Deshalb waren die Zinnen des Forts stets besetzt, und die Mündungen mehrerer Mörser und Sechspfünder blickten auf die Stadt und den Hafen. Damian gab sich keinen Illusionen hin; auch er genoss nicht das uneingeschränkte Vertrauen seines Vaters. Nur einen Menschen gab es, dem der Commodore grenzenlos vertraute: sich selbst.
Gleichwohl hob sich das schwere Fallgitter, und die Torflügel wurden geöffnet, als die Wächter den jungen Kapitän erkannten. Die Kutsche passierte das sternförmige Bollwerk, das noch aus Morgans Zeiten stammte, und hielt auf das Herzstück der Anlage zu, den ehemaligen Gouverneurssitz. Schon von weitem konnte man erkennen, dass alle Fenster des Gebäudes verschlossen waren, nicht nur durch Fensterläden, sondern mit den Planken erbeuteter Schiffe, die man darüber genagelt hatte, um das Sonnenlicht fern zu halten. Der Commodore verabscheute das Licht und liebte die Dunkelheit. Seit Jahren hatte er sein düsteres Domizil kaum verlassen, hatte sich zu einem Leben in ewiger Nacht entschieden.
Vor dem mächtigen Portal hielt die Kutsche an, und Damian stieg aus. Die Stufen zur Pforte lagen in hellem Sonnenschein – jenseits des von Wachen gesäumten Eingangs herrschte Dunkelheit.
Es dauerte einen Moment, bis sich Damians Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Strenger, beißender Geruch stieg ihm in die Nase, aus der Tiefe des Gebäudes drang ein dumpfes Pochen. Fackeln in rostigen Wandhalterungen beleuchteten dieEingangshalle mit flackerndem Licht. Damian durchmaß sie mit raschen Schritten und schlug den Weg zum Audienzsaal ein. Auch der Korridor war von Fackeln erhellt, deren Schein die Überreste einst prächtiger Diwane und Wandteppiche beleuchtete. Jetzt waren sie zerschlissen und angesengt, die Decke von Ruß geschwärzt. Hier und dort prangten heidnische Symbole an den Wänden,
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