Die Erben der Schwarzen Flagge
geschrieben mit dem Blut ahnungsloser Opfer.
Das rhythmische Pochen wurde lauter und drängender. Damian lächelte. Im Audienzsaal wurde eine Zeremonie abgehalten, die ihrem Höhepunkt entgegenstrebte – er kam im rechten Augenblick.
Er passierte einige Wachen, deren Gesichtern die Angst deutlich anzumerken war. Selbst unter seinesgleichen war Commodore Bricassart gefürchtet, und Damian genoss es, die Männer zusammenzucken zu sehen, wenn er an ihnen vorüberschritt. Zwei Wächter öffneten die hohe Tür, und Damian betrat den Saal, der die Quelle sowohl der Trommelschläge als auch des bestialischen Gestanks war.
Lange Ketten baumelten von der Decke, an denen abgetrennte Vogelflügel und die Kadaver von Katzen hingen, dazu die Köpfe von Schlangen und Alligatoren. Auch im Audienzsaal war das Licht gedämpft – einzige Beleuchtung waren die mannshohen Fackeln, die im Kreis aufgestellt waren und in deren loderndem Schein ein bizarres Ritual stattfand.
Wie Damian erwartet hatte, war die Zeremonie in vollem Gang. Trommelschläge empfingen ihn, zu denen sich jetzt monotoner Gesang gesellte. Ein Mann, der kaum fünf Fuß groß war und dabei so mager, dass man ihn bei flüchtigem Hinsehen für ein Kind hätte halten können, sprang in wilden Zuckungen umher. Er war nackt bis auf einen Lendenschurz; vor dem Gesicht trug er eine aus Holz geschnitzte Maske, die eine hässlicheFratze zeigte und von einem Schmuck aus Menschenhaar und Federn umrahmt wurde. In seinen Händen schwenkte er eine mörderische Waffe, die wie eine Kreuzung aus Beil und Messer aussah.
Dies war der malfacteur, der Zeremonienmeister des Rituals. Zum Klang der Congas bewegte er sich und murmelte dabei Worte, die Damian weder verstand noch verstehen wollte. Sie entstammten einer Sprache aus uralter Zeit, die dunklem Zauber vorbehalten war.
Der Schamane war nicht allein. Fünf Helferinnen hatte er, die ebenso spärlich bekleidet waren wie er selbst – mit dem Unterschied, dass sie keine Masken trugen, sondern ihre Gesichter mit Blut beschmiert hatten; langes schwarzes Haar umloderte ihre Züge wie schwarzes Feuer, während sie um den Kreis der Fackeln tanzten.
Inmitten des Kreises, auf dem steinernen, blutbesudelten Boden, kauerte ein Mann, der an den Boden gekettet war. Er war ein einfacher Matrose von der San Felipe, jener Galeone, die Damian und seine Leute gekapert hatten, nachdem Navarro ihnen verraten hatte, welchen Kurs das Schiff nehmen würde. Der Mann hatte das zweifelhafte Glück gehabt, aus dem Kampf um das Schiff nur leicht verletzt hervorzugehen. Jetzt kauerte er zitternd auf dem Boden und folgte den Geschehnissen mit furchtsamen Blicken, während er immerzu um Gnade schrie. Damian sah Todesangst in seinen Augen – dabei wartete nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang auf diesen Mann …
Von einem hohen Podest aus schaute Commodore Bricassart zu, wie der Schamane und seine Dienerinnen finstere Mächte beschworen. Obwohl er sein leiblicher Vater war, musste Damian sich eingestehen, dass der Herrscher von Port Royal einen grotesken Anblick bot. Da er das Sonnenlicht mied, war seine ohnehinblasse Haut bleich wie die eines Toten. Das rabenschwarze Gewand, das er trug und über dem eine Halskette mit heidnischen Talismanen hing, unterstrich diesen Eindruck noch. Dazu kam die ungeheure Leibesfülle, die dem Commodore den Anschein gab, er werde jeden Augenblick platzen.
Auf dem unförmigen Körper saß ein kahles Haupt; es schien von dem wulstigen Nacken nach vorn geschoben zu werden. Längst hatte Bricassart aufgehört, sich auf eigenen Beinen zu bewegen – wenn er nicht im Audienzsaal weilte, ließ er sich von seinen Sklaven in einer Sänfte tragen. Feist und fett thronte er auf dem Podest, das an der Stirnseite des Thronsaals für ihn errichtet worden war, verziert von den gebleichten Knochen verfeindeter Kapitäne und einstiger Rivalen.
Die Überreste von Henry Morgans Gefolge fanden sich darunter, das auch dann noch Widerstand geleistet hatte, als sein Anführer bereits von dem Gift dahingerafft worden war, das Bricassarts Schamane ihm verabreicht hatte. Und natürlich die Gebeine des Piratenkapitäns Michel de Grammont, eines Landsmannes, den sie seiner adligen Abstammung wegen den »Ritter der See« genannt hatten. Wie es hieß, waren sowohl de Grammont als auch sein Schiff auf geheimnisvolle Weise verschwunden – dass es ein tödlicher Fehler war, sich dem Commodore zu widersetzen, hatte auch er zu spät erkannt.
Das Gesicht
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