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Die Erben der Schwarzen Flagge

Die Erben der Schwarzen Flagge

Titel: Die Erben der Schwarzen Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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des alten Bricassart war gleichermaßen fürchterlich anzusehen. Denn während das linke Auge wach und listig aus den aufgedunsenen Zügen blickte, glomm das rechte in dunklem Rot. Es war ein glatt geschliffener Rubin, den sich der Commodore anstelle seines vor Jahren im Kampf verlorenen Auges hatte einsetzen lassen und der in höllischer Glut zu leuchten pflegte, wenn Feuerschein darauf fiel. Mancher Gefangene, der vor den Commodore gebracht worden war, war unter dem Blickdieses Auges zusammengebrochen. Lodernd starrte es auch jetzt auf den Matrosen herab, der vor dem Podest kauerte, umtanzt von halbnackten Gestalten und flackernden Schatten.
    »Compasión! Compasión!« , flehte der Gefangene mit heiserer Stimme, die kaum zu vernehmen war gegen den Trommelschlag und die Beschwörungsformeln des Schamanen. War es eine Täuschung, dass die Flammen höher und wilder loderten? Oder beschwor der Priester tatsächlich dunkle Mächte herauf, die der Zeremonie beiwohnten?
    Ein Diener brachte einen Hahn herein, der mit den Flügeln schlug und sich kreischend wehrte, als ahne das Tier bereits, welch grausiges Schicksal es erwartete. Der Handlanger entließ das Tier in den Fackelkreis, worauf es krähend und flatternd umherlief. Der Priester stieß einen gellenden Schrei aus und schlug mit der Waffe zu. Das messerscharfe Blatt enthauptete das Tier mit einem Streich.
    Mit den Flügeln schlagend, lief der Hahn weiter, als hätte der Rest des Körpers noch nicht mitbekommen, was dem Haupt widerfahren war. Die Dienerinnen begannen laut zu kreischen, der Spanier schrie in nackter Panik. Schon hatte der Priester den Kadaver gepackt, aus dessen Halsstumpf eine rote Blutfontäne schoss, und besudelte damit sich und seine Helferinnen. Sodann bespritzte er den Gefangenen damit, der wie von Sinnen schrie und an den Ketten zerrte. Aber das Eisen gab nicht nach, und so erwartete der Spanier mit angstgeweiteten Augen sein weiteres Schicksal.
    Ein weiteres Utensil wurde herangetragen, das für die Durchführung der Zeremonie benötigt wurde – ein schmales, hohes Behältnis, das aus dem Kadaver einer Schlange gefertigt war. Der geöffnete Rachen des Tieres diente als Ausguss, und der Dampf aus dem Inneren ließ darauf schließen, dass der Inhalt siedend heißsein musste – was den Priester nicht daran hinderte, ihn dem Gefangenen ohne Zögern in den Schlund zu schütten.
    »Dambaala!«, rief er dabei und beschwor damit den Schlangendämon, dessen dunklen Zauber er wirkte. »Dambaala!«
    Der Spanier wollte sich wehren, aber die Dienerinnen waren bereits zur Stelle. Ihre Arme umwanden ihn wie Schlinggewächse und sorgten dafür, dass er sich nicht mehr regen konnte und schlucken musste, was der Schamane ihm einflößte. Der Matrose gurgelte und spuckte, würgte an dem galligen Getränk. Aber Schluck um Schluck drang es in seine Kehle, und der Schamane und seine Dienerinnen verfielen in gellendes Triumphgeheul. Kaum war der bizarre Becher geleert, setzte der Trommelschlag aus, und der Matrose fiel ohnmächtig nieder. Nicht nur das Grauen hatte den Spanier übermannt, auch das Serum zeigte Wirkung. Zuckend lag der Mann am Boden, während der Priester und seine Dienerinnen die Zeremonie beendeten. Ein glühendes Eisen wurde herangetragen, und in die Handfläche des Spaniers wurden Totenschädel und Stundenglas eingebrannt – die Zeichen Bricassarts.
    Damian hob seine eigene Hand und blickte auf das Brandzeichen, das auch er in seiner Rechten trug, und eine ferne Erinnerung von Schmerz überkam ihn für einen Augenblick.
    Der widerwärtige Geruch von verbranntem Fleisch stieg auf und brachte den Gefangenen wieder zu Bewusstsein. Aber anders als zuvor schrie und wehrte sich der Mann nicht mehr. Er ergriff nicht die Flucht, als die Wächter seine Fesseln lösten, sondern blieb kauernd auf dem Boden liegen.
    »Steh auf.«
    Erst als er den Befehl hörte, raffte sich der Gefangene auf. Seine Bewegungen waren kantig, die Augen seltsam blicklos, was bewies, dass das Serum gewirkt hatte.
    »Befehlt, ich gehorche«, sagte der Spanier mit tonloser Stimme.
    »Wer ist dein Herr und Meister?«, fragte der alte Bricassart von seinem hohen Sitz herab.
    »Ihr seid es.«
    »So wirst du mir treu dienen bis in den Tod?«
    »Bis in den Tod«, echote der Mann, der durch das Ritual ein willfähriger Diener geworden war, der jeden Befehl ohne Zögern ausführte.
    »Dann geh jetzt, bis ich dich rufe.«
    Der Spanier, blutbesudelt wie er war, verbeugte sich und

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