Die Erben von Atlantis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
sehen.
Eine Weile saßen wir uns bloß gegenüber. »Sicher nicht leicht, da draußen im Hub«, versuchte er es.
»Nein«, sagte ich und hatte wirklich keine Lust mehr auf das Gespräch. Recht hatte er aber. Ich dachte an das Leben daheim: Unser Apartment im Höhlenkomplex, die Leuchtstofflampen, die mit jeder Stunde schwächer wurden, weil der Strom aus der Geothermie einfach nicht ausreichte. Die Schule war so weit ganz okay, allerdings kannte ich ja auch keine andere. Viele Kinder hatten Asthma von den Abgasen, ich war aber bislang davon verschont geblieben. Alles in allem war mir mein Leben oder meine Familie nie besonders schlecht vorgekommen, doch verglichen mit hier war es vielleicht wirklich so.
Paul schlug die Hände zusammen, sodass das Klatschen von den Wänden widerhallte. »Nun, Owen, das sind alles gute Gründe dafür, dass du jetzt hier bist. Du bist das perfekte Beispiel dafür, wieso ich die Lotterie ins Leben rief, um auch Kinder von außerhalb zu uns einzuladen.«
»Danke«, sagte ich, doch mein Widerwille wuchs nur noch weiter. Ich wollte keiner seiner Sozialfälle sein, der arme Junge aus dem Hub, dem man eine Chance gab.
»Ich danke dir «, erwiderte er ungerührt. Fast klang es sarkastisch. »Weißt du, es kommt dir jetzt vielleicht nicht so vor, aber der Aufenthalt hier in Camp Eden kann wirklich dein Leben verändern. In deinem Fall würde ich sagen, ganz bestimmt sogar.« Wieder ein Lächeln. Der Wunsch, einfach zu gehen, wurde von Mal zu Mal stärker.
»Okay«, sagte ich.
»Also …« Er verschob ein paar Symbole auf seinem Schirm. »Ich habe dich jetzt fürs Werkhaus eingeteilt. Da bist du zwar mit ein paar der Jüngeren zusammen, aber das wird schon gehen. Bis auf Weiteres bist du von allem freigestellt, was zum Problem werden könnte, zum Beispiel dem Eisbärschwimmen. Wir wollen ja nicht, dass du dir was tust.«
Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Eisbären? Die waren seit fast dreißig Jahren ausgestorben. Hatte Eden noch einen? Vielleicht war es ja in der Broschüre gestanden, aber die hatte ich nie richtig gelesen. Und warum redete er von mir, als wäre ich irgendein wertvolles Gut? Vielleicht meinte er es ja nicht so, aber so klang es.
»So, das wäre dann wohl alles.« Paul legte wieder die Finger zusammen. »Dr. Maria sagte, dass du morgen noch mal zur Nachuntersuchung kommst.«
»Ja.«
»Dann kannst du jetzt gehen.«
Ich nickte und stand auf. Paul tat es mir gleich.
»Hör zu, Owen«, sagte er. »Ich bin hier zwar der Direktor, aber ich möchte auch gerne dein Freund sein. Wenn du irgendwas brauchst oder dir wegen irgendwas Sorgen machst, egal was …« Er trat um den Tisch herum und auf mich zu. »Dann kommst du doch als Erstes zu mir, oder?«
»Äh, na klar«, sagte ich, in der Hoffnung, die Unterhaltung damit zu beenden.
»Besonders«, fuhr Paul fort, und seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, »was die Wunden hier betrifft …« Er streckte die Finger nach dem Verband an meinem Hals aus. Die Berührung war nur ganz leicht, aber die Wunden entflammten sofort wieder mit heißem Jucken, und ich zuckte zurück.
»Tut mir leid«, sagte er sanft. Ich hatte keine Ahnung, ob es ihm wirklich leidtat, doch sein Lächeln war breiter denn je, sodass es nicht gerade danach aussah. Auf einmal musste ich einfach nur noch raus.
»Ich sollte jetzt gehen«, sagte ich, trat zur Tür und stieß sie auf. Ich wollte mich ja beherrschen, wäre aber am liebsten weggerannt.
»Natürlich.« Paul hielt mich nicht zurück. »Owen?«
Ich drehte mich noch einmal um. Er stand ganz entspannt da, die Hände in den Taschen. »Weißt du, ich habe schon eine ganze Menge gesehen. Je mehr du mir erzählst, desto besser kann ich helfen. Denk daran.«
»Mach ich, danke.« Ich eilte hinaus.
3
Draußen war es früher Abend. Es war mild, und die sanfte Brise fühlte sich auf der Haut an wie eine zarte Hand, die von der hohen Luftfeuchtigkeit ganz klebrig war. Es war ein komisches Gefühl, aber eine Erlösung verglichen mit meinem Treffen mit Paul.
Die SafeSun-Leuchten waren orangefarben gedimmt, die SimWolken färbten sich violett. Der Wind wurde heruntergepegelt, und die Insekten veranstalteten ein Konzert verschiedenster Klänge, summten und schabten und zirpten. Im Hub hatten wir nur die paar Insekten, denen die Große Flut nichts hatte anhaben können, vor allem Ameisen, Fliegen und natürlich die angepassten Küchenschaben, die mittlerweile so groß waren, dass sie auf der Jagd
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