Die Erben von Hammerfell - 5
war. Entsetzt stellte sie fest, daß Storns Männer hier zuerst gewesen waren. Haus um Haus lag in qualmenden Trümmern, und die meisten Bewohner waren geflohen – ausgenommen diejenigen, die man erschlagen hatte. Erschöpft und krank im Herzen, zwang sie sich, in den wenigen Häusern, die noch standen, nach einem Menschen zu suchen, den sie kannte und nach Markos und Conn fragen konnte. Aber nirgendwo erfuhr sie etwas über den alten Mann und ihr Kind. Sie vermied es sorgfältig, sich von einem Fremden sehen zu lassen – wenn ein Gefolgsmann von Storn sie entdeckte, würde er sie und auch ihr Kind auf der Stelle gnadenlos töten. Bis kurz vor Mittag wartete sie, immer noch hoffend, der Herzog sei dem letzten Feuersturm entronnen und werde sich im Dorf mit ihr zusammenfinden. Der Wald war jetzt voll von heimatlosen Dorfbewohnern, und jeder, den sie fragte, betrachtete die traurige, schmutzige Frau mit dem Hund und dem Kind voller Mitleid und Freundlichkeit. Doch von einem alten Mann, der ein einjähriges Kind auf dem Arm trug, hatte niemand etwas gehört oder gesehen.
Den ganzen Tag suchte Erminie nach den beiden, doch bei Sonnenuntergang mußte sie sich eingestehen, daß das, was sie am meisten gefürchtet hatte, Wirklichkeit geworden war. Markos war verschwunden. Entweder war er erschlagen worden, oder er hatte sie aus irgendeinem Grund im Stich gelassen. Und da der Herzog nicht gekommen war, mußte er beim Einsturz der brennenden Burg den Tod gefunden haben.
Das letzte Tageslicht erstarb. Die verzweifelte Erminie zwang sich, sich hinzusetzen, ihr langes, aufgelöstes Haar zu glätten und zu flechten, etwas Essen aus ihrem Korb zu sich zu nehmen und dann den Hund und das hungrige Kind mit Brot zu füttern. Wenigstens war sie nicht ganz allein. Ihr Erstgeborener, jetzt der Herzog von Hammerfeil, war ihr geblieben – aber wo war sein Zwilling? Als Hufe und Schutz hatte sie nur einen Hund. Sie legte sich nieder, wickelte sich in ihren Mantel, kroch der Wärme wegen nahe an Juwel heran und schützte den schlafenden Alastair mit ihren Armen. Innigen Dank sagte sie den Göttern dafür, daß der Winter vorüber war. Sie nahm sich vor, beim ersten Morgengrauen vorsichtig Umschau zu halten, sich zu orientieren und sich dann auf den langen Weg zu machen, der sie zu der fernen Stadt Thendara und zu ihren Verwandten im dortigen Turm führen würde. V
Thendara schmiegte sich in ein Tal der Venza-Berge, und der große Turm erhob sich über die Dächer der Stadt. Anders als abgelegenere Türme, die alle dort arbeitenden Telepathen beherbergten – Überwacher, Bewahrer, Techniker und Mechaniker -, isolierte der Turm in Thendara seine Leute nicht von den Bewohnern der Stadt, sondern gab, wie in allen Städten des Tieflands, im gesellschaftlichen Leben eher den Ton an.
Die Turm-Arbeiter hatten zumeist Wohnungen in der Stadt, manchmal sehr elegante und kostspielige. Bei der verwitweten Herzogin von Hammerfell war das jedoch nicht der Fall. Erminie, die diesen Stand für den einer Zweiten Technikerin im Thendara-Turm eingetauscht hatte (in der Gesellschaft von Thendara verband sich damit sogar mehr Prestige), lebte bescheiden in einem Häuschen an der Straße der Schwertschmiede, dessen einziger Luxus ein Garten voll von duftenden Kräutern, Blumen und Obstbäumen war.
Erminie war jetzt siebenunddreißig Jahre alt, aber immer noch schlank, mit flinken Bewegungen und glänzenden Augen, und ihr herrliches Kupferhaar schimmerte wie eh und je. Sie hatte in all diesen Jahren mit ihrem einzigen Sohn allein gelebt; kein Hauch eines Skandals hatte ihren Namen oder Ruf berührt. Selten sah man sie in anderer Gesellschaft als der ihres Sohnes, ihrer Haushälterin oder des großen alten rostfarbenen Gebirgshundes, der sie überallhin begleitete.
Der Grund war nicht etwa, daß die Gesellschaft sie mied. Vielmehr mied sie die Gesellschaft, schien sie sogar zu verachten. Zweimal war ihr ein Heiratsantrag gemacht worden, einmal von dem Bewahrer des Turmes, einem gewissen Edric Elhalyn, und ein andermal von ihrem Vetter Valentin Hastur, demselben Mann, der vor so langer Zeit ihrem Heim in den Bergen einen Besuch abgestattet hatte. Dieser Herr, den Hastur-Lords von Thendara und Carcosa nahe verwandt, hatte sie zum erstenmal gebeten, ihn zu heiraten, als sie das zweite Jahr im Turm arbeitete. Damals hatte sie ihre Ablehnung damit begründet, daß sie erst vor kurzem Witwe geworden sei. Jetzt, an einem Abend im Spätsommer, achtzehn Jahre
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