Die Erben von Hammerfell - 5
erneut mußte sie an ihren Traum denken. Wenn Alastair so gut wie kein laran besaß, warum sah sie ihn in ihren Träumen immer wieder auf diese Weise? Hatte Valentin recht? Hielt sie ihn zu sehr am Gängelband - war das nicht gut für ihn? Aber nein, sie hatte ihn ermutigt, ein eigenes Leben zu führen, und sah vom Anfang der einen Woche bis zur nächsten nur wenig von ihm. Wie war das vor einem Jahr gewesen? Er hatte ihr erzählt, daß der Turm ihn nicht zur Ausbildung aufnehmen wolle, und erst dann hatte Erminie ihm gesagt, daß er einen Zwillingsbruder gehabt habe, der beim Überfall auf Hammerfell ums Leben gekommen sei, und offenbar sei er der Zwilling mit der geringeren laran -Fähigkeit. Damals hatte Alastair im Zorn erklärt, er könne es nicht bedauern, diesen Bruder verloren zu haben. »Denn er hat mir meinen Anteil an einer Gabe geraubt, die dir soviel bedeutet, Mutter.«
»Du solltest es deinem Bruder nicht mißgönnen«, hatte sie ihm erwidert, »denn da der Herzogstitel und das Erbe von Hammerfell dir als dem Erstgeborenen zufielen, mußte auch er etwas Besonderes haben.« Dann machte sie ihn zum erstenmal auf die kleine und unauffällige Tätowierung aufmerksam, den Hammer auf seiner Schulter.
»Dieses Zeichen sollte dich von deinem Zwillingsbruder unterscheiden. Es weist dich überall als den rechtmäßig geborenen Erben des Großen Hauses und Besitzes von Hammerfell, als den wahren Herzog dieser Linie aus«, hatte sie zu ihm gesagt.
Die Gruppe prächtig gekleideter Adliger bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich auf dem Platz drängte. Als Turm-Technikerin war Erminie den meisten bekannt, und auch den jungen Herzog von Hammerfell kannten sie. Es gab Verbeugungen und Knickse. Das Volk, das in der Hoffnung, in den Konzertsaal eingelassen zu werden, den Markt umstand – denn nach altem Brauch durfte keiner der gewöhnlichen Plätze verkauft werden, bevor sämtliche Adligen untergebracht waren-, beobachtete die Hochgeborenen und jubelte ihnen zu.
Als eine der jungen Edeldamen vorbeiging, zupfte Alastair seine Mutter unauffällig am Ärmel.
»Mutter, siehst du die hellhaarige junge Frau in dem weißen Gewand?« flüsterte er, und Erminie hielt nach dem Mädchen Ausschau, auf das er sie hinwies.
»Ich kenne sie«, sagte sie leise und überrascht.
»Tatsächlich?« Er hatte keine Ahnung, wer sie war, aber er mußte sie kennenlernen – es war das reizendste Mädchen, das er je gesehen hatte.
»Sicher, und du kennst sie auch, mein Sohn. Sie ist deine Cousine Floria. Als Kinder habt ihr fast jeden Tag zusammen gespielt.«
»Floria«, rief er erstaunt aus. »Ich erinnere mich, daß ich sie mit einer Schlange durch den Garten gejagt und sie geärgert habe – ich hätte sie niemals wiedererkannt! Sie ist schön!«
»Ihretwegen hat mich Edric heute besucht«, erzählte Erminie. »Er möchte, daß ich während der Saison der Ratssitzungen die Anstandsdame für sie spiele.«
»Die Aufgabe würde ich gern selbst übernehmen!« erklärte Alastair lachend. »Ich habe sagen gehört, die unscheinbarsten Mädchen wüchsen zu den größten Schönheilen heran. So etwas, meine Cousine Floria!« Er war überwältigt, konnte es einfach nicht glauben.
»Als Tochter unseres Bewahrers ist es ihr nicht erlaubt, in seinem Kreis zu arbeiten. Sie hat ihre Ausbildung in Neskaya bekommen, aber jetzt ist sie in ihr Vaterhaus zurückgekehrt und wartet darauf, daß für sie ein Platz in einem der anderen Kreise frei wird.«
»Wenn sie ein Milchmädchen oder eine Seidenweberin wäre, würde ich sie immer noch für die schönste Frau halten, der ich je begegnet bin«, erklärte Alastair. »Floria …« Er sprach den Namen beinahe ehrfürchtig aus. »Ich bezweifle, daß die Cassilda der Legenden, die von Hastur geliebt wurde, schöner gewesen ist als sie.«
»Sie ist noch jung, aber in ein, zwei Jahren wird Edric wahrscheinlich Heiratsanträge für sie bekommen.«
»Hm«, machte Alastair. »Ich glaube, ich bin der glücklichste Mann der Welt! Sie ist frei, sie ist mit uns verwandt, und sie hat laran. Was meinst du, Mutter, wird sie sich an mich erinnern? Habe ich eine Chance?«
Ein wohllautender Glockenton, das Zeichen, die Plätze aufzusuchen, unterbrach seine Überlegungen. Mutter und Sohn durchschritten den Bogeneingang und die großen Türen. In der Loge auf dem ersten Balkon, die Erminie abonniert hatte, nahmen sie Platz. Alastair legte seiner Mutter ihren pelzgefütterten Mantel um und schob ihr einen gepolsterten Schemel
Weitere Kostenlose Bücher