Die Erben von Hammerfell - 5
unter die Füße, bevor er sich die Reihe der Logen ansah und nach der jungen Frau suchte, die seine Begeisterung erweckt hatte.
»Da, ich sehe sie«, flüsterte er. »In der Loge mit dem Elhalyn-Wappen.« Überrascht stellte er fest: »Die königliche Loge ist ebenfalls besetzt.« König Aidan galt nicht als Musikliebhaber, und die königliche Loge wurde nur noch selten benutzt.
»Sicher ist es Königin Antonella«, meinte Erminie. »Ihre großzügige Spende und ihre Liebe zur Musik haben den Wiederaufbau dieses Hauses nach dem Brand vom letzten Jahr ermöglicht. Sie ist alt, sehr dick und jetzt auch noch taub. Aber die höchsten Töne ihrer Lieblingssänger genießt sie immer noch.«
»Darüber habe ich eine Geschichte gehört«, unterbrach Alastair, »als ich letztes Jahr im Bergchor sang. Es hieß, sie habe Dom Gavin Delleray beauftragt, eine Kantate nur für Sopranstimmen und Violinen zu komponieren, da ihr Gehörverlust selektiv ist. Sie kann hohe Töne besser hören als tiefe.«
»Das hat man mir auch erzählt.« Erminie sah zu der königlichen Loge hinüber, wo die alte Königin, sehr klein und dick, in einem unvorteilhaften Kleid von einem häßlichen Blau kandierte Früchte kaute, das steife Bein auf einem Schemel hochgelegt. Ungeachtet ihres Alters, saß eine ältere Frau in der Kleidung einer Anstandsdame neben ihr.
Alastair unterdrückte ein Kichern. »Eine Dame in ihren Jahren wird eine Anstandsdame kaum brauchen«, flüsterte er und hielt sich den Ärmel vor den Mund.
»Still!« beschwor Erminie ihn. »Sicher wollte die Königin einer ihrer Hofdamen, die Musik liebt, eine Freude machen.«
Alastair hatte bemerkt, daß bei Floria in der ElhalynLoge nur ihr Vater saß und sie keine weibliche Begleitung hatte. »Wirst du mich in der ersten Pause vorstellen?« bat er seine Mutter.
»Natürlich, mein lieber Junge. Es wird mir ein Vergnügen sein«, versprach Erminie. Unter dem stürmischen Applaus, der das Orchester und den Chor begrüßte, setzten sie sich zurecht. Da die Adligen alle Platz genommen hatten, strömte jetzt das Volk in den unteren Teil des Saals, und das Konzert begann.
Es war eine schöne Kantate, und der Dirigent und erste Sänger war der Komponist selbst, Dom Gavin Delleray, ein hübscher junger Mann, der mehrere Soli für Baß sang, zwischen denen Chorstellen lagen. Erminie dachte beim Zuhören, daß Alastair, würde er sich nur Mühe geben, bestimmt ebenso gut sänge wie Dom Gavin.
Als Alastair es nicht merkte, sah sie zu Edric Elhalyns Loge hinüber. Der Bewahrer lächelte ihr zu und nickte, offenbar als Bestätigung seiner früheren Einladung, in der Pause in seine Loge zu kommen. Auch das Mädchen schaute zu Erminie hinüber und lächelte in der freundlichsten Weise. Vermutlich waren Floria Alastairs bewundernde Blicke aufgefallen.
In seinem Alter war natürlich zu erwarten, daß erst die eine, dann eine andere junge Frau sein Interesse erregen würde; wundern mußte man sich nur, daß es bisher nicht geschehen war.
Von Zeit zu Zeit spähte Erminie, während der junge Baß-Solist sang, zu der alten Königin hinüber, die mit hingerissenem Gesichtsausdruck (oder war es nur Kurzsichtigkeit?) vor sich hin starrte. Sie dachte daran, was ihr Sohn ihr erzählt hatte, und überlegte, wieviel von der Musik die alte Dame tatsächlich hören konnte.
Die Musik endete, und begeisterter Applaus dankte dem beliebten jungen Komponisten. Genauso alt wie Alastair, waren sie als Kinder und Halbwüchsige lange Zeit unzertrennlich gewesen. Zu Erminies Verwunderung klatschte Königin Antonella besonders heftig. Sie nestelte einen Blumenstrauß von ihrem Kleid, beschwerte ihn mit einem hübschen Schmuckstück und warf ihn auf die Bühne. Das löste einen wahren Regen von Blumen, Sträußchen und Schmuckstücken aus. Gavin sammelte sie strahlend vor Freude ein und verbeugte sich vor seiner königlichen Gönnerin.
Alastair lachte leise vor sich hin.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß Königin Antonella die Musik so sehr liebt – und ebensowenig, daß sie eine Schwäche für schöne junge Männer hat«, flüsterte er.
»Alastair, ich muß mich über dich wundern«, schalt Erminie. »Du weißt genau, daß seine Mutter die Lieblingscousine der Königin war und Gavin wie ein Sohn für sie ist, da das Königspaar das Unglück hat, kinderlos zu sein.« Alastairs spöttisch gerunzelte Stirn glättete sich, aber auch ohne Telepathie wußte Erminie, daß er sich diesen Leckerbissen von Klatsch aufhob, um seinen
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